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Kirche in WDR 2 | 21.08.2015 | 05:55 Uhr
Einer muss es tun
Mit großer Mühe hangelt sich ein Mann am Geländer entlang. Das Hochwasser zwängt sich zwischen überfluteter Uferpromenade und Anleger hindurch. So wird der Fluss an dieser Stelle noch schneller und stärker, noch reißender.
Durchnässt erreicht er schließlich den Anleger. Ich kann ihn nicht sehen. Nur hören, dass da jemand ist. Ich hänge unten im Fluss. Wasser schießt mir über den Kopf. Wieder und wieder. Wasser.
Eine bescheuerte Idee heute zu paddeln. Bei Hochwasser. Auf dem Rhein. Als Anfänger.
Viel zu spät sehe ich den Anleger. Rasend treibe ich darauf zu. Weg nur, nur weg.
Links. Irgendwie links. Außen muss ich an dem Ding vorbei. Nur nicht zwischen Ufer und Anleger getrieben werden. Der Anleger ist groß. Große Rheinausflugsschiffe machen hier fest. Jetzt ist er fast überflutet. Die schweren Ketten, die ihn an der Böschung halten, sind kaum zu sehen. Nur in ihrer Befestigung oben am Anleger.
Die anderen schaffen es. Ich nicht.
Mein Boot knallt gegen den Anleger. Rasend drückt der Strom mich zwischen Ufer und Anleger. Unter Wasser. Die Beine stecken noch im Boot. Das Wasser rast über mich. Kalt. Schnell. Übermächtig. Ich muss raus aus dem Boot. Raus. Es zieht mich sonst runter. Das schaffe ich nicht. Die Ketten. Gerade noch kann ich die Ketten mit den Händen umklammern. Das Boot wegtreten.
Mit aller Kraft halte ich mich an den Ketten fest. Der Fluss reißt an meinem Körper. Will mich mitziehen. Ich weiß klar: Das werde ich nicht schaffen. Ich weiß: lasse ich los – werde ich ertrinken. Hilf mir, Gott.
Ich halte mich kaum. Verzweifelt. Wasser. Rasend schnell. Mich an den Ketten hochziehen. Unmöglich.
Eine Stimme. Ein Tuch. Eine Hand, die fasst. Und mich zieht. Er muss geistesgegenwärtig sein Halstuch gelöst haben. Er zieht mich mit aller Kraft auf den Anleger. Aus dem Wasser. Gerettet.
Später erfuhr ich: Menschen am Ufer sahen mein Unglück. Riefen um Hilfe. Ein junger Koch hörte und sah mich. Riskierte den Weg, am Geländer entlang auf den Anleger. Reichte mir Arm, Hand und Tuch und zog mich hinaus.
Einer von denen, die mich sahen, musste es tun.
Sonst wäre ich tot.
Mindestens einer muss etwas riskieren.
Angesichts der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer müssen Staaten, Länder, Menschen sehen, hören, Hände reichen- dürfen sich nicht daran gewöhnen.
Und: Menschen ertrinken nicht nur im Wasser. Sie ertrinken in Angst, Einsamkeit, Alkohol.
Äußerlich vielleicht alles bestens, innerlich fast abgesoffen.
Einer muss etwas tun.
Ich?
Gott, hilf.