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Hörmal | 29.12.2013 | 07:45 Uhr
Zwischen den Jahren - Neubeginn im Niemandsland
Manche Redewendungen sind ziemlich schräg, manche falsch sogar, und doch geistern sie munter durch den Alltag. Weil sie etwas ausdrücken, das man gar nicht besser sagen kann: „Zwischen den Jahren“ zum Beispiel. Wunderbar! Ich liebe sie! Diese schwerelose Zeit zwischen abgebrannten Weihnachtskerzen und dem Feuerwerk in der Silvesternacht.
Und dazwischen: Niemandsland! Zeit, ein paar Dinge zu tun, die das Jahr über liegen geblieben sind. Immer sind die Altpapiercontainer dann voll bei uns. Es scheint, dass alle auf einmal aufräumen - innen und außen. Den Schreibtisch, den Dachboden, das Wohnzimmer. Aber auch die Herzensräume, dort, wo sich im vergangenen Jahr unerfüllte Sehnsüchte eingenistet haben, Verletzungen oder Schuld. Ein paar schwerlose Tage lang nimmt die Sehnsucht nach dem Neuwerden Gestalt an.
„Alles hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde“, schreibt der Prediger Salomo im Alten Testament. „ Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist, ... weinen und lachen, klagen und tanzen, ... lieben und hassen, Streit und Friede hat seine Zeit.“
Es klingt als würde der weise Prediger Salomo mitten in unsere Zeit sprechen. Lauter Dinge, die ganz alltäglich sind, auch wenn Facebook und Fußball nicht vorkommen, Partnerbörsen oder LateNightShopping. Aber die Basics sind da: „Lieben und hassen, Streit und Friede“... Beides gehört zum Leben, aber es soll nicht immer Streit sein.
Nicht so wie bei dem Pfarrer und Schriftsteller Eginald Schlattner. Ein Verwandter aus Siebenbürgen, der mir durch viele Mails und Gespräche nahe ist. Und damit ein nie beigelegter Konflikt, der bis in die 50er Jahre zurückreicht. Damals - als Student - sagte Schlattner nach zwei Jahren Einzelhaft und Folter im Gefängnis der rumänischen Geheimpolizei als Zeuge der Anklage im sogenannten Schriftstellerprozess aus. Die verurteilten Künstler wurden zu jahrelanger Zwangsarbeit verurteilt, Schlattner selbst kam frei, schwer traumatisiert. Opfer oder Täter? Einer der Verurteilten klagt ihn bis heute öffentlich als Verräter an.
Es ist eine offene Wunde, die nicht heilen kann zwischen den beiden alten Männern. Die Zeit scheint stehen geblieben. Seit mehr als 50 Jahren. Und so hat der mittlerweile 80-jährige Pfarrer jetzt einen Brief geschrieben, zum 88. Geburtstag seines Anklägers. Darin heißt es: „Was muß zwischen uns geschehen, daß wir bei der Abendglocke gute Gedanken, gute Worte, gute Taten füreinander bereit halten? ... Noch ehe es für einen von uns beiden zu spät ist.“ Schlattner selbst weiß sich von Gott geliebt und versöhnt mit seiner Lebensgeschichte, trotz allem. Aus diesem Glauben und weil er selbst Vergebung erfahren hat, kann er die Hand zur Versöhnung reichen. So wie Gott ihm und jedem Menschen die Hand reicht und mit ihm gehen will.
Aufräumen und Neuwerden, dafür können die Tage zwischen den Jahren dienen. „Alles hat seine Zeit“, wie es bei Salomo heißt. Das kann der Gang zum Altpapiercontainer mit dem Weihnachtspapier sein. Es kann aber auch ein Besuch oder eine Mail sein, um Frieden zu machen und den Ballast eines alten Streits abzuwerfen, bevor das neue Jahr beginnt. Im Niemandsland des Neubeginns ist alles möglich.