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Kirche in WDR 2 | 06.03.2017 | 05:55 Uhr

„Wer will ich sein?“

Das abendliche Zappen durch’s Fernsehprogramm kann für unerwartete Überraschungen sorgen: Eines Abends lande ich bei einer Doku über die Zustände im Jemen. Erschütternde Bilder: Sterbende Kinder, hilflose Eltern und ohnmächtige Ärzte. Auf einmal schaue ich mir selbst dabei zu, wie ich im Sessel sitze, vor mir Knabbereien und ein Glas Wein. Ich erschrecke. So möchte ich mich nicht sehen: Unbeteiligt auf das Elend anderer Menschen blicken, als hätte ich nichts damit zu tun. Vielleicht geht es unserer Gesellschaft gerade ähnlich. Wir bekommen gerade bei dem, was in der Welt los ist, den Spiegel vorgehalten. Die Frage ist: Wer wollen wir sein – angesichts der unvorstellbaren Herausforderungen und Krisen?

Viele Leute denken, dass sie das alles doch eigentlich nichts angehe. Lange Zeit ging das ja auch. Die Welt „draußen“ war weit weg. Krieg, Hunger, Armut fanden nur im Fernsehen statt. Und wen das berührte, der konnte eine Spende abdrücken und sich wieder zurücklehnen.

Das ist vorbei. Längst brechen die leidenden Menschen in den Krisengebieten der Welt auf – sie bleiben nicht im Fernsehen, sie kommen zu uns. Die Leute aus dem Jemen, aus Afghanistan, aus Syrien, aus Eritrea sind mitten unter uns. Und wenn wir weiterhin nichts mit ihnen zu tun haben wollen, dann müssen wir ziemlich drastische und hässliche Maßnahmen anwenden.

Natürlich machen auch mir solche „Völkerwanderungen“ Sorgen, wie vielen anderen im Land. Ich schreie nicht „Hurra – endlich sind sie da“. Aber ich weiß auch, was in der Welt los ist: Glück und Unglück, Frieden und Krieg, Reichtum und Armut sind verdammt ungerecht verteilt. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Deshalb hat das Elend anderswo ziemlich viel mit mir, mit uns zu tun.

Wie will ich mich selbst sehen? Wie will ich mein Land sehen? Wie ein Spiegel wirken diese Fragen. Ich könnte mir nicht in die Augen sehen, wenn ich da nicht mehr erblicken könnte als ein kaltes, gleichgültiges Herz.

Jetzt ist Fastenzeit. In der christlichen Tradition ist sie davon geprägt, sich den Spiegel vorzuhalten und sich zu fragen, ob mein Leben noch zusammenpasst mit den Ansprüchen, die mir als Christ wichtig sind. Die Aufforderung dieser Zeit heißt: Stell dein Leben, dein Denken, Reden und Handeln auf den Prüfstand! Ist all das von Gerechtigkeit, Solidarität und Liebe geprägt? Hast du einen weiten, differenzierten Blick auf die Welt?

Im Blick auf das, was in der Welt und in diesem Land zugeht, heißt Christ-Sein für mich: Keine Unterscheidung zwischen Völkern, Rassen und Nationen! Die Welt ist eine Schöpfung Gottes – Europa genauso wie Afrika; Deutschland genauso wie der Jemen. Dafür einzustehen, kann unbequem werden. Das erleben wir gerade. Eine verdammt schwere Herausforderung. Aber das ist Christsein – kein Weg der einfachen Antworten auf die großen Fragen des Lebens auf dieser Welt.

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