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Kirche in WDR 2 | 22.08.2017 | 05:55 Uhr
Tunnel
Fast drei Jahre lang war der Münsteraner Bahnhof zur Stadtseite geschlossen. Generalsanierung. Und deshalb gab es drei Jahre lang nur Zugang durch die Hintertür: Jeden Tag das gleiche Spiel:
Alle Pendler müssen durch einen Tunnel, um vom Bahnhof in die Stadt oder von der Stadt zu ihrer Bahn zu kommen.
Der Fußgängertunnel war morgens ein Gemisch aus Rauch, Müdigkeit und Musik - und überall: Menschen.
Es war stressig, dort mit dem Rad durchzufahren und trotzdem ging es friedlich.
An den Eingängen gab es Plakate: „Rücksicht statt Klingel.“, stand da drauf.
Und tatsächlich hat das jetzt drei Jahre gut geklappt. Die Pendler haben sich den Tunnel mit den Obdachlosen, Verwirrten und Musikern geteilt.
Und das waren gute und schlechte. Und natürlich stand da auch der stadtbekannte Oh-may-Darling-Mann. Er heißt deshalb so, weil er immer nur eine Zeile singt: „Oh my darling, oh my darling“ – und das in Endlosschleife.
Klar sind da auch Streitereien gewesen - aber der Tunnel hatte auch was: Morgens musste ich mit dem Rad so langsam fahren, dass ich oft dem guten Musiker zuhören konnte - und der hat echt was drauf.
Er hat mir fast jeden Morgen ein schönes zweites Aufwachen geschenkt. Ein kostenloses Konzert.
Abends hab ich dann im Tunnel gemerkt, wie müde ich bin - und wie dankbar, dass ich nicht wie der Obdachlose mit seinem Hund im Tunnel übernachten werde.
So ein Tunnel bietet das pralle Leben, wie es in den meisten Großstädten in NRW läuft: Armut und Reichtum, tausend verschiedene Leben auf engstem Raum.
Ich bin froh, dass der Bahnhof endlich wieder zur Stadt offen ist. Er ist echt schick geworden.
Aber an diesem sauberen, perfekten neuen Bahnhof fehlt etwas: der Dreck, der Rauch, die Musiker. Nicht das geleckte Leben ist es, was uns zusammen führt, sondern das gelebte Leben. Und dazu gehört mehr als ein problemloser Durchmarsch durch die Vordertür.