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Kirche in WDR 2 | 09.08.2017 | 05:55 Uhr
Nagasaki
Es ist ein heißer Vormittag, heute vor 72 Jahren in Japan. Nagao steht mit ihren Klassenkameradinnen auf dem Schulhof. Plötzlich blitzt es krass auf, eine gewal-tige Explosion, heißer als die Sonne. Nagaos Haut verbrennt in der Hitze. Sie löst sich von den Armen und hängt an den Fingerspitzen herunter. Zehntausende Menschen sterben sofort. Von manchen bleibt nur ein Schatten an der Wand zurück.
Innerhalb der nächsten Tage und Monate sterben weitere zehntausende Opfer. Bis heute weiß niemand, wie viele Menschen durch die Atombombe in Nagasaki zu Tode kamen. Es könnten mehr als 100.000 sein. Auch die Zahl der Verletzten ist entsetzlich hoch, ihre Qualen schrecklich. Viele Überlebende leiden ein Leben lang unter den Folgen – körperlich, seelisch und gesellschaftlich. Denn die Betroffenen werden von den eigenen Landsleuten ausgegrenzt. Ihre Strahlung sei ansteckend heißt es, ihr Erbgut geschädigt. Um die Chance auf einen Arbeitsplatz oder einen Ehepartner zu bekommen, müssen die Opfer schweigen.
Es gibt heute nicht mehr viele Überlebende. Aber einige der betagten Opfer von damals haben Jahrzehnte später ihr Schweigen gebrochen und berichten inzwischen öffentlich über das, was sie erlebt haben. Sie sind wütend, weil viele ihrer Landsleute die Gefahren von Atomkraft verharmlosen. Es wurde ja nie darüber gesprochen.
Heute ist es unsere Aufgabe, zuzuhören. Zum Beispiel Nagao, die schwer verletzt überlebt hat. Sie fürchtet, dass die Opfer der Atomkatastrophe von Fukushima ge-nauso zum Schweigen verdammt werden wie sie damals.
Das Leid der Opfer kann niemand wieder gut machen. Aber ich finde, wir sollten zumindest daraus lernen und Menschenleben weder durch Atombomben noch durch Atomkraft gefährden.
Heute, am Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, der Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs zur Kapitulation gezwungen hat, bete ich für Nagao und die zig tausenden anderen Opfer. Ich bete aber auch für die Verantwortlichen von damals – und die Entscheider von heute.