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Hörmal | 03.09.2017 | 07:45 Uhr
great again - auf wessen Kosten?
Eigentlich wollte ich nur einen Blumenstrauß zum Hochzeitstag kaufen. Es wurde dann aber ein tiefgehendes Gespräch darüber, dass vieles nicht mehr so ist, wie es einmal war – und wie sehr uns das umtreibt und beunruhigt.
Das Wetter zum Beispiel: viel zu heiße Sommer und die Winter ohne Schnee.
Auch die Welt ändert sich rasant. Alte Familienstrukturen lösen sich auf. Nicht nur alte Menschen leben immer mehr auf sich allein gestellt.
Und dann kommen Menschen aus aller Herren Länder zu uns – sie laufen davon vor Hunger und Krieg – sie reden anders, kleiden sich anders, sind so anders als wir.
Das alles verunsichert uns.
In Zeiten der Verunsicherung versprechen Politiker gerne Orientierung und Halt, besonders dann, wenn Sie um unsere Stimmen werben. Von dem amerikanischen Präsidenten heißt es, er verstehe die Sorgen der einfachen Menschen besonders gut und habe auf alle Fragen überzeugende Antworten parat, überraschend einfache:
-Wenn wir unsicher sind, wie wir mit Fremden umgehen sollen – einfach eine große Mauer bauen, wir lassen keinen mehr rein.
-Wenn die Maßnahmen für den Klimaschutz so teuer sind – dann treten wir einfach aus dem Klimaschutzabkommen aus. Sollen doch die anderen die Welt retten.
Und dann hat er ein Programm, mit dem er die Ungewissheit überwinden will: „Make America great again.“ Ich mache euch wieder großartig.
Gott hat euch nicht erwählt, weil ihr größer wärt als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern. (5. Mose 7,7)
In einer schweren Krise richtet sich dieser biblische Text an das israelische Volk. Was auffällt: Es geht nicht darum, Israel wieder groß zu machen, „great again“.
Gott ist keiner, der nach Größe fragt – ganz im Gegenteil: Er schaut auf die am unteren Ende der Bedeutsamkeits-Skala.
Und Gott sei Dank, tut er das genauso. Denn sonst wärt ihr, Israel, niemals in sein Blickfeld gekommen. Sonst hätte es für euch keine Zukunft gegeben. Als ihr unbedeutend wart, Rechtlose, Sklaven – da hat Gott nach euch geschaut. Er hat euch Raum zum Leben geschenkt. Was sie sind, sind sie durch ihn.
Gott verspricht uns nicht – wie einzelne Politiker dies heute tun - Größe und Bedeutung. Das würde auch nicht helfen.
Denn keiner von uns ist immer schon groß gewesen – und keiner von uns bleibt auf Dauer bedeutsam. Das gilt für jeden Einzelnen, für unser Land und für unsere Kirche.
Und während die Großen sich an ihrer eigenen Großartigkeit berauschen, leben neben ihnen die Unscheinbaren. „Neben uns die Sintflut“, so beschreibt Stefan Lessenich, der Soziologe, unsre Welt, in der wir Armut und Ungerechtigkeit übersehen und verdrängen, welchen Anteil wir daran haben.
Auch ist Größe ist keine Garantie für gelingendes, glückliches Leben. Größe und Stolz auf die eigene Größe, die andere ausschließt – das macht am Ende sehr, sehr einsam.
Wir hören im Wahlkampf flotte Sprüche und große Worte. Mir persönlich helfen solche Größenphantasien in Zeiten der Verunsicherung wenig. Überhaupt bin ich skeptisch gegenüber großartigen Versprechungen. Denn häufig wird verschwiegen, wer am Ende die Zeche zahlen muss. Ich bin dankbar, dass ich mein kleines Leben bei Gott gut aufgehoben weiß. Dazu muss ich überhaupt nicht großartig sein oder Großartiges leisten. Und da ist genügend Lebensraum – für mich und für andere.