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Kirche in WDR 2 | 14.04.2018 | 05:55 Uhr
Wo Gott wohnt
„Gott wohnt bei den Armen.“ Dieser Satz bringt mich zum Nachdenken. Ist Gott umgezogen? Ausgewandert aus Mitteleuropa? Als Wohlstandsflüchtling? Dorthin, wo die wirklich Armen sind: in die Slums nach Lateinamerika, Afrika oder Asien. Dort blüht nämlich der christliche Glaube. Dort kann sich niemand vorstellen, dass im reichen Deutschland Kirchen geschlossen werden. Haben wir Europäer vor lauter Wohlstand das Beten verlernt?
„Gott wohnt bei den Armen.“ Dieser Satz sagt jedoch: Es liegt gar nicht an mir. An meinem Wohlstand und dem meiner Mitmenschen. Ob wir in der Not beten lernen oder es ohne Not vergessen. Es ist Gottes eigene Entscheidung, wo er wohnt. Und wo er die Frömmigkeit blühen lässt. Vielleicht ist er ja wirklich ausgewandert in die südliche Hälfte unserer Erde.
Einer der stärksten Anwälte der Armen in der Bibel ist der Prophet Amos. Er lebte in einer Zeit, als in den Städten der Wohlstand wuchs. Die Reichen wurden immer reicher. Die kleinen Leute immer ärmer. Die sozialen Netzwerke konnten sie kaum noch auffangen.
Zu seinen reichen Zeitgenossen sagte Amos: Es wird eine Zeit kommen, spricht Gott der Herr, dass ich einen Hunger ins Land schicken werde. Nicht einen Hunger nach Brot sondern nach dem Wort des Herrn, es zu hören; dass sie hin und her von Norden nach Osten laufen und des Herrn Wort suchen und doch nicht finden werden.
Genau das ist doch unsere Situation! Ich habe Gott nicht unbedingt vergessen. Aber vielleicht laufe ich ja hilflos herum und kann Gott nicht finden. Weil er sich im Reichtum nicht finden lässt.
Auch in Deutschland wächst die Armut. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Niemandem muss es in Deutschland so schlecht gehen wie einem Slumbewohner. Aber das macht die Not in unserer Nachbarschaft nicht erträglicher.
Auch die geistliche Armut wächst. Und der Hunger nach Gott. Bei den Menschen, denen ein Leben ohne Glauben zu wenig ist. Die sensibel werden für das, was in einer entzauberten Welt fehlt. Die neu nach den Schätzen suchen, die in unserer geistlichen Tradition liegen – seien sie christlich, jüdisch oder noch ferner östlich.
„Gott wohnt bei den Armen.“ Ich glaube, dass dieser Satz richtig ist. Aber ich glaube nicht, dass Gott ausgewandert ist. Gott wohnt nicht nur in bestimmten Ländern. Gott wohnt bei jedem Menschen, der seine eigene Armut spürt. Der nicht genug zum Leben hat. Der hungrig ist nach Brot. Hungrig nach Leben. Und vor allem hungrig nach Gottes Nähe. Darin liegt der Trost dieses Satzes: Wenn ich meinen Hunger nach Gott spüre, dann ist er mir schon nicht mehr fern.