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Hörmal | 17.06.2018 | 07:45 Uhr
Deine Religion ist nix - ohne dich
Okay, wenn ich morgens um 7.00 Uhr mit der Bahn zum Büro fahre, ist in Sachen Aufmerksamkeit und Denkvermögen noch reichlich Luft nach oben. Ich blinzle etwas verwirrt zwischen zwei Mitfahrenden hindurch. Da hängt ein Plakat. „Deine Religion ist nix – ohne dich!“, lese ich da. Seit wann macht die Rheinbahn Werbung für Religion?
Ich reibe mir die Augen. Oh. Da steht gar nicht: „Deine Religion ist nix – ohne dich.“, sondern: „Deine Region ist nix – ohne dich.“ Typische freud’sche Fehlleistung von einem, der im Landeskirchenamt arbeitet.
Deine Region ist nix – ohne dich? Beim Aussteigen sehe ich dann: Das ist Werbung für ein neues Ticket. Mit dem können Auszubildende ihre Arbeits- und Praktikumsplätze erreichen, aber auch alle regionalen Events und Shopping-Angebote. Super Angebot. Hol‘ dir’s!
Starker Spruch – platte Botschaft. Da wäre mehr drin gewesen. Deine Region ist nix – ohne dich – ja, und zwar so: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst.“ Zu diesem Perspektivwechsel hat einst John F. Kennedy seine Landsleute aufgerufen. Es geht nicht darum, was ich für mich raushole – sondern was ich einbringe.
Muss man mal ein bisschen sacken lassen. Aufs Rausholen sind wir nämlich programmiert. Mit uns holst du noch mehr raus – so funktioniert nicht nur die Werbung.
Fremd dagegen ist der Gedanke: Dass ich was davon haben könnte, wenn ich zuerst was reingebe.
Dabei leben wir alle davon, dass andere sich investieren – ohne dass sie was rausholen wollen. Unsere Eltern etwa –als wir noch zu klein waren. Oder unsere Kinder, wenn wir selber alt und gebrechlich sind, auf Unterstützung/Hilfe angewiesen. Oder meine Nachbarn, die mir helfen, wenn ich es allein nicht schaffe. Und natürlich alle, die sich beruflich um andere kümmern, in der Erziehung, in der Betreuung, in der Pflege.
Gerade im Gespräch mit diesen Leuten hört man interessante Erfahrungen. Klar, sagen sie, ich mache meinen Beruf auch, weil ich Geld verdienen muss. Dabei ist der Lohn, den du hier bekommst, gemessen an der Verantwortung, die wir für Menschen übernehmen, nicht wirklich angemessen. Aber eigentlich bin ich in diesen Beruf gegangen, weil ich mit Menschen und für Menschen arbeiten wollte. Aus der Begegnung mit diesen alten oder kranken Menschen, mit den ganz Kleinen oder den Behinderten, da bekomme ich so viel zurück – auch wenn ich mich weit über das Maß hinaus einbringe, für das ich bezahlt werde.
Deine Region ist nix – ohne dich. Diese Gesellschaft ist nix – ohne mich und dich, ohne unser Engagement. Ich lebe selber davon, dass andere sich für mich einbringen. Gerade wer nicht zuerst darauf schaut: was habe ich davon, macht die Erfahrung, dass er reich beschenkt wird.
Und – freud’sche Fehlleistung hin oder her: Da sind wir dann doch bei der Religion gelandet.