Beiträge auf: wdr2
Kirche in WDR 2 | 24.05.2019 | 05:55 Uhr
Ordnungsamtbestattungen
Ich
bin Judith Uhrmeister, guten Morgen!
Ich
bin morgens des Öfteren auf dem Friedhof.
Was
ich dort mache?
Ich
beerdige Menschen.
Früh
morgens sind das häufig Menschen, die vom Ordnungsamt bestattet werden. Also
Menschen, die keine Angehörigen haben, die sich kümmern.
Ich bin dann meistens dort, mit den Leuten vom Friedhof alleine.
Es
ist seltsam und komisch, jemand zu beerdigen, den man nicht kennt und den auch
keiner kennt, der da ist.
Anfangs
fand ich das sehr irritierend.
Einmal
war ich zu früh da. Ich bin in die Kapelle gekommen und sehe, wie der
Friedhofswärter ganz liebevoll, die Kapelle dekoriert. Wie er die Kerzen
anzündet und sich würdevoll vor der Urne verbeugt.
Mich
hat das ziemlich beeindruckt.
Und
dann als er zur Türe geht, um sie aufzuschließen, sieht er mich, und schaut
mich an und lächelt und sagt: „Schön, dass Sie da sind! Das ist ja nicht immer
so. Es kommt nicht immer ein Priester, oder was auch immer Sie sind, aber ich
freue mich immer, wenn einer kommt, ansonsten müssen wir es ja alleine machen.
Mal sehen, ob heute einer kommt!“, sagt er.
Das
wusste ich, ehrlich gesagt noch nicht, oder besser gesagt:„ Ich hatte mir das
noch nie überlegt.“ Die müssen das dann alleine machen.
„Und
was machen Sie dann?“, frage ich.
„Na,
wir machen das wie Sie, nur dass wir nicht so viel reden. Aber wenn wir dann
am Grab stehen, dann sagt meistens schon einer:
„Mach‘s gut, oder so. Nichts Dolles, aber es soll ja keiner ohne letzten
Gruß gehen. Manchmal spreche ich auch ein Gebet, ein Vaterunser. Ich kann es
nicht so richtig gut, aber für Mohammed ist es auch okay. Ich habe ihn
gefragt.“
Wir
sprechen zusammen das Vaterunser und dann kommt sein Kollege und wir fangen an.
Ich
spreche eine Fürbitte für den Verstorbenen, segne ihn, und dann kommen die
anderen beiden. Sie ziehen ihren Hut, nehmen die Urne, tragen sie aus der
Kapelle, stellen sie auf den Wagen, setzten sich hinein. Ich laufe hinter dem
Wagen her bis zum Grab.
Wir
stehen um das offene Grab, schauen uns in die Augen und nicken uns zu. Dann
lassen sie die Urne in die Erde. Ich werfe Erde und schlage ein Kreuz in die
Luft. Dann spreche ich das Vaterunser, zum Grab gewendet.
Und
dieses Mal höre ich, wie einer das Vaterunser mitbetet, Wort für Wort, mit
sanfter Stimme, aber sicher und stark.
Für mich war es, als würde Gott mir direkt in den Nacken sprechen. Für mich war er da und wir und der Tote für einen Moment nicht mehr allein.