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Kirche in WDR 2 | 03.06.2019 | 05:55 Uhr
Auf Herz und Nieren
Das ist ja ein toller Zeitpunkt, denke
ich. Wir schlendern gerade über den dritten Friedhof, noch angeschlagen von den
letzten Tagen und sehr traurig. Wir suchen eine Grabstätte für meine Mutter. Am
Tag zuvor ist sie gestorben.
Da klingelt das Mobiltelefon. Mein
Bruder geht dran, nimmt das Gespräch an. Er bleibt etwas zurück, dann berichtet
er. Angerufen hat das Krankenhaus, in dem unsere Mutter gestorben ist. Die Ärzte
wollen ihre Augenhornhaut testen. Vielleicht kann sie jemand brauchen. Wir
sagen meinem Vater erst mal nichts.
Wieder zuhause diskutieren wir. Meine
Eltern sind immer davon ausgegangen, dass man mit über 80 als Spender oder
Spenderin eines Organs gar nicht infrage kommt. Habe ich auch gedacht. Mein
Vater kann sich nicht vorstellen, dass die Augenhornhaut seiner Frau entfernt
wird. Dass irgendwer an ihren Augen herumschneidet. Für ihn ist das auch eine
Frage der Erinnerung.
Mein Sohn sieht das ganz anders. Er hat
einen Organspende-Ausweis, seitdem sie das Thema im Reli-Unterricht intensiv
besprochen haben. „Ich gebe etwas ab, das ich nicht mehr brauche“, sagt er
pragmatisch und sehr überzeugt.
Ich denke spontan an die vielen
negativen Schlagzeilen der letzten Jahre. Da war immer wieder von Unregelmäßigkeiten
bei der Vergabe der Organe die Rede. Und ist man wirklich tot, wenn vom Hirntod
die Rede ist? Bei meiner Mutter war das eindeutig. Sie hatte schließlich aufgehört
zu atmen.
Was ist, wenn einer von uns schwer
erkrankt und ein Organ braucht? Eine Niere oder Leber oder das Herz? Dann wäre
ich doch heilfroh, wenn er eins bekäme. Mehr als 10.000 Menschen warten in
Deutschland auf ein Spenderorgan. Zum Teil viele Jahre. 2018 haben 955 Menschen
ihre Organe gespendet. Im Vorjahr nur knapp 800. Ein Tiefpunkt. Ich habe von
einem Mann gelesen, der großes Glück hatte. Die durchschnittliche Wartezeit auf
eine Niere beträgt über sieben Jahre. Er hat schon nach drei Jahren eine
bekommen. Und feiert seitdem zweimal im Jahr Geburtstag.
Organspende kann ein Ausdruck der Nächstenliebe
sein, sagen Theologen. Aber eine Pflicht zur Spende oder auch nur eine
moralische Verpflichtung gibt es nicht. Wichtig ist doch, dass jeder und jede
darüber nachdenkt, wie er oder sie dazu steht. Also quasi, wie es in Psalm 7,10
steht: Seine Entscheidung im wahrsten Sinne des Wortes auf Herz und Nieren prüft.
Und dann seine Meinung den Angehörigen mitteilt. Dann entsteht nicht so ein
Dilemma wie bei uns auf dem Friedhof.