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Hörmal | 22.09.2019 | 07:45 Uhr
Artgerecht leben – nicht nur für Bienen
Autorin:
„Früher war mehr Lametta“, hat Loriot mal
gesagt, der Humorist. Unvergessen. Früher war manches (!) mehr, denke ich
manchmal. Zum Beispiel: War da nicht mehr Seele früher? Mehr Wissen darum, dass
Karriere und Cabrio-Touren zwar schön sind, die Seele aber braucht mehr.
O-Ton: Wir haben die ganze Welt
gewonnen, wir können uns alles leisten – aber dennoch kann es sein, dass ich
dann doch zum Schluss allein in meiner Wohnung sitze. Ich bin dann vielleicht
abgesichert, ich bin vermögend, aber letztlich vielleicht auch trotzdem einsam.
Autorin: Das erlebt Iris Müller-Friege täglich. Denn die Seele ist ihr
Spezialgebiet, gleich in zwei Berufen: als Psychotherapeutin in ihrer Praxis
und als Pfarrerin in einer psychiatrischen Klinik in Essen - Seelsorgerin, wie
es etwas altmodisch heißt. Was der Seele zu schaffen macht, kann sie in Zeiten
des Klimawandels leicht auf den Punkt bringen.
O-Ton: Ich glaube, dass die Zunahme der psychischen Erkrankungen
auch damit zu tun hat, dass der Mensch im wahrsten Sinne des Wortes nicht
artgerecht lebt.
Autorin: „…nicht artgerecht“, und
was dann passiert, kennt man ja. Bienen sterben, Bäume erkranken und Menschen
auch. „Seelenleiden“ wie Depressionen und Burnout liegen bundesweit auf Platz 3
aller Krankheiten. Iris Müller-Friege sieht bei vielen Betroffenen, dass sie
kaum echte Beziehungen haben:
O-Ton: Ich glaube, dass heute viele Menschen ihr Leben vertagen! Die sagen,
jetzt schaffe ich erstmal noch mehr an, das größere Auto, das tolle Kleid, wenn
ich noch ein paar mehr Überstunden mach‘, dann kann ich mir auch den Urlaub
leisten, vielleicht mir ein Häuschen kaufen und mich eher zur Ruhe setzen …
Autorin: … nur, wer ist dann noch da, wenn ich
über Jahre zu wenig Zeit für andere hatte, für Liebe und Lachen und für mich
selbst? Eine Gefahr für die Seele:
O-Ton: Und die Beziehung lässt sich eben
oft nicht nachholen. (Weil, was ich mir jetzt nicht Gutes tue, das kann ich zum
Teil gar nicht vertagen. Weil ) Beziehungen passieren auch im Hier und Jetzt.
Und da brauche ich Zeit für, und da brauche ich Leere für.
Autorin: … und sicher auch einigen Mut, einfach zu sagen: Egal, ich geh‘
jetzt lieber mit den Kindern schwimmen als dem Chef einen Gefallen zu tun. -
„Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und nimmt doch
Schaden an seiner Seele“, heißt es im biblischen Spruch für den Monat
September. „Artgerecht leben“, das hatte Jesus schon vor 2000 Jahren im Blick,
meint Seelsorgerin Iris Müller-Friege:
O-Ton: Im Grunde ist die biblische
Botschaft ja die von der Gnade. Und die ist aktueller denn je: dass der Mensch
geliebt ist, weil er da ist. Und nicht, weil er schafft. (Dann muss er nicht
perfekt sein, dann darf er Pausen machen, dann darf er Fehler machen.) Und wenn
wir das mehr in unser Leben hineinnehmen, dass der Mensch, so wie er ist,
optimal ist, von Gott geliebt ist, kann da eine sehr heilsame Botschaft sein.
Redaktion: Sabine
Steinwender - Schnitzius