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Kirche in WDR 2 | 13.09.2019 | 05:55 Uhr
Keine Termine
Was
früher ins gute alten DIN A5 Format gepasst hat, erscheint heute in schönen
farbig abgesetzten Balken auf dem Bildschirm. Jedenfalls wenn man die digitale
Variante wählt und das tun bekanntlich immer mehr Menschen.
Als kürzlich der Google Kalender down gewesen
ist, haben
Sie da noch auf Ihre Termine
zugreifen können? Im Netz
ist die Empörung
natürlich groß gewesen. Empörung geht ja eigentlich immer. Hier und da hat es
aber auch Erleichterung gegeben: „Hey, klasse“, schreibt da jemand, „ich habe
keine Ahnung, wo ich in 30 Minuten sein soll, gehe jetzt Eis essen.“
Vermutlich ist der Nutzer jünger als 25, sitzt vor seinem Laptop und programmiert fleißig vor sich hin, ohne überhaupt einen Termin zu haben. Aber dennoch hat er eine Vorstellung davon, was es heißt, eine Unterbrechung zu bekommen. Wie damals in der Schule: Vertretungsstunde oder besser noch: Hitzefrei. In den Park gehen, unter einen Baum setzen, die leicht kühlende Luft auf der Haut, zu sich kommen. Und dann die Entdeckung machen, die einst Nathanael gemacht hat.
Nathanael ist einer der ersten Nachfolger von Jesus gewesen. Er ist ein Skeptiker besonders in religiösen Dingen. Als seine Freunde ihm von dem Wanderprediger erzählen, den man unbedingt gehört haben muss, winkt er nur ab: Nazareth, eine Gegend in der man nicht tot über dem Zaun hängen will und da soll was Weltbewegendes passiert sein? Im Leben nicht! Trotzdem geht er mit seinen Freunden hin. Als Jesus ihn anspricht, reagiert er genervt: „Kennen wir uns etwa?“ „Ja“, sagt Jesus, „Ich habe dich unter dem Feigenbaum gesehen.“
Viele
kluge Leute haben sich nun Gedanken gemacht, was da unter dem Feigenbaum
passiert ist. Hat Nathanael etwas Verbotenes gemacht, hat er
sich deshalb ertappt gefühlt? Hat Jesus hellseherische
Fähigkeiten, laufen ihm vielleicht deswegen so viele Menschen hinterher?
Vermutlich
ist unter dem Feigenbaum gar nichts passiert, vielleicht hat er noch nicht
einmal dort gesessen. Vielmehr: Der Feigenbaum ist in der Bibel ein Symbol für
Zugehörigkeit, heißt im Klartext: „Du bist schon einer von uns –
mit Haut und Haar und deinem Zweifel!“
Und
so wird aus dem Skeptiker
ein
Nachfolger. Er sieht sich selbst plötzlich anders,
seine Maßstäbe geraten ins Wanken und seine Vorurteile sind dahin. Ob das unter
einem Baum, beim Eis, in der Freistunde oder gar auf Opas 80. passiert, ist
zweitrangig. Es wird aber ganz gewiss nur passieren, wenn der Kalender keinen
Eintrag hat. Sonntag zum Beispiel, da verheißt der Kalender meist Gutes!
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius