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Hörmal | 01.11.2019 | 07:45 Uhr

Gesehen werden.

„Zur ihrer eigenen Sicherheit wird dieses Abteil videoüberwacht.“ Mein Blick wandert nach oben: Da ist sie auch, die Kamera mit der 360-Grad-Linse. Vermutlich verbunden mit der Fahrerin oder sogar mit der Leitstelle. Ob ich einmal freundlich winken soll?

Zunehmend finden sich solche Schilder – und die dazu gehörigen Kameras. In Bankfilialen, auf Bahnsteigen, in Parkhäusern und jetzt auch in Schwimmbädern. Meine Gefühle sind sehr wechselhaft. Mal bin ich erleichtert, ja geradezu beruhigt: Es gibt echt unheimlich dunkle Ecken in Parkhäusern – mal bin ich beunruhigt, unsicher, verängstigt : Gibt es gar keinen Ort, an dem ich unbeobachtet bin?

Kameras im öffentlichen Raum – in dem kleinen schwäbischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, war das kein Thema. Kameras brauchte da keiner – trotzdem wussten alle über jeden Bescheid – und über das, was er tat. Schön für die ältere Dame, weil man registriert hat, wenn es ihr nicht gut ging. Die Nachbarn haben sich automatisch um sie gekümmert. Nicht so schön für uns junge Leute. Denn jeder Unsinn, den wir angestellt haben, kam unseren Eltern immer irgendwie zu Ohren.

„Gott sieht alles“, singt der Rapper Karate-Andi. Nun gut, nicht mein Musikstil. Nicht nur die Musik ist so abgehackt. Auch die Texte. Ich kapier’s nicht wirklich. Aber mein Eindruck ist: Dass Gott alles sieht – ist beim Rapper wohl eher als Drohung angekommen. Als Druckmittel in der Erziehung. Das haben mir auch Freunde aus ihrer Kinder- und Jugendzeit erzählt. Wie sehr sie das belastet hat – und was das für eine Befreiung war, als sie über Studium oder Ausbildung von zu Hause wegezogen sind. So sind sie nicht nur einer umfassenden sozialen Kontrolle entkommen, sondern auch einem religiösen Umfeld, das sie als bedrückend und kontrollierend erlebt haben.

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Von einer Frau namens Hagar erzählt eine kleine, bewegende biblische Geschichte im 1. Buch Mose (161-16). Sie macht eine ganz andere Erfahrung. In einer Situation, als sie allein gelassen wird, tritt einer in ihr Leben, mit dem nicht zu rechnen war. Er sieht sie an. Er spricht sie an. Das tut gut. Das ermutigt. Den hat der liebe Gott geschickt. Ja genau. Denn das ist geradezu der Name Gottes: „Der mich sieht.“ Weil er mich sieht, geh‘ ich nicht verloren.

Wir haben unterschiedliche Erfahrungen und Prägungen. Die lassen sich nicht einfach abschütteln. Manches steckt tiefer in uns drin, als uns lieb ist.
Ich bin sehr froh darüber, auch ich habe die Erfahrung von Hagar gemacht. Dass mir Menschen begegnet sind, die mir gesagt haben: Keine Angst. Du gehst nicht verloren. Du bist gesehen. Von Gott. Nicht überwacht, sondern angesehen. Gerne möchte ich diese Erfahrung mit ihnen teilen.


Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

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