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Kirche in WDR 2 | 10.03.2020 | 05:55 Uhr
Define springen nicht
Delfine springen nicht über Unbekanntes. Sagt der Tierpfleger.
Ich sitze mit meiner Familie im Delfinarium im Duisburger Zoo. Eigentlich habe
ich deutlich und mit Nachdruck erklärt, dass ich das ziemlich kritisch sehe,
Delfine hier auf diese Art und Weise zu halten und vorzuführen. Bloß:
Interessiert hat es niemanden. Kinderquengeln kann sehr überzeugend sein! Also
sitze ich da. Und während ich noch mit mir und der Situation hadere, habe ich
plötzlich etwas gelernt. Völlig ungewollt. Nämlich: Delfine springen nicht über
Unbekanntes.
Echt interessant. Natürlich können sie es. Mit Leichtigkeit. Hier im
Delfinarium springen sie meterhoch aus dem Wasser, über Seile, einen
Wasserstrahl. Über alle möglichen Hindernisse. Aber eben nie über Dinge, die
ihnen unbekannt sind. Deshalb, sagt der Tierpfleger, sterben so viele Delfine
in Fischernetzen. Eigentlich können sie über die Netze einfach drüber springen.
Zack, frei. Das ist noch nicht einmal ein Problem für sie. Aber sie tun es
einfach nicht. Sie wissen nicht, was auf der anderen Seite des Hindernisses
ist, also springen sie nicht. Tragisch.
In mir wächst ein seltsamer Gedanke: Ob vielleicht etwas Delfin-DNA in mir
steckt? Mir fallen nämlich mit einem Mal so manche Hindernisse in meinem Leben
ein: Umstände, die mir zu schaffen machen, die ich aber schon seit Jahren
einfach nicht ändere. Angewohnheiten, die ich schon so lange loswerden will.
Beziehungen, die es mir schwer machen. Aber
ich kläre das nicht. Das schlechte Gewissen, das ich wegen so mancher dummen
Sache mit mir herumschleppe. Aber ich entschuldige mich nicht. Alles
Hindernisse, die mir unüberwindbar vorkommen.
Obwohl es wahrscheinlich einfach ist, über sie hinwegzuspringen. Ich habe so
oft schon darüber nachgedacht. Und mir ist eigentlich völlig klar, was ich tun
muss. Und dass ich es auch tun kann. Alles, was es noch braucht, ist eine
letzte Willensentscheidung. Ein Anlauf. Und rüber. Aber ich tue es nicht.
Vielleicht wirklich, weil ich, wie ein Delfin, das Unbekannte hinter dem
Hindernis mehr fürchte, als das Hindernis selbst. Was nicht alles passieren kann!
Was nicht alles schiefgehen kann! Also lasse ich alles, wie es ist. Und bleibe
gefangen. Delfine springen nicht über Unbekanntes. Sagt der Tierpfleger. Aber
sie können es lernen. Offensichtlich können sie es. Das ist die Grundlage
dieser Vorführung.
Jesus sagt einmal: Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. In
diesem Moment klingt das für mich wie eine Aufforderung. Komm, nimm deinen Mut
zusammen und spring. Vertrau mir. Das, was dir unüberwindlich erscheint, ist
kein Untergang, kein dunkles Schicksal, sondern nur ein Hindernis. Und
dahinter? Die Freiheit. Ich warte da auf dich. Ob es sinnvoll ist, Delfine in
Gefangenschaft zu halten? Da bin ich immer noch skeptisch. Aber für die
Lektion, die er mir an diesem Nachmittag erteilt hat, bin ich diesem
Tierpfleger wirklich dankbar.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius