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Kirche in WDR 2 | 13.03.2020 | 05:55 Uhr

Gnade

Ich parke gern in einer Seitenstraße in der Nähe der St. Petri Kirche in Dortmund. Da bin ich schnell auf einen Sprung in den Geschäften und genauso schnell wieder weg. Ein Nachteil: Die Parkzeit ist auf 60 Minuten beschränkt. Ich ziehe also ein Ticket, sprinte in die Stadt. Bei meinem nächsten Blick auf mein Handy erschrecke ich, denn ich bin schon 30 Minuten über der erlaubten Parkzeit. Mit einem schlechten Gefühl und der Sorge eines Knöllchens gehe ich zügig zurück zu meinem Auto. Und tatsächlich, von weitem sehe ich schon einen flatternden Zettel an meinem Scheibenwischer. „Mist“, denke ich, „das ist so unnötig!“. Doch als ich näher komme, entdecke ich: Das ist kein Strafzettel! Jemand hat ein Parkticket, das noch gültig ist, einfach an meinen Scheibenwischer geklemmt.
Wie schön ist das denn? Da hat jemand gesehen, dass ich schon über der Zeit bin, möglicherweise einen Strafzettel bekomme und hat mir -unbekannter Weise - etwas Zeit geschenkt. Fantastisch! Ich bin erleichtert.

Am Abend vor dem Einschlafen muss ich nochmal an das Erlebnis denken. So stelle ich mir Gnade vor. Ein schwieriger Begriff, den ich irgendwie nie so ganz begreifen kann.
Christinnen und Christen glauben, dass Gnade eine Grundeigenschaft Gottes ist. Gott schenkt allen Menschen Gnade – einfach so. Gnade ist die Basis – wie ein Vorschuss an Liebe. Ohne, dass man dafür irgendetwas tun muss. Gnade kann man nicht verdienen – weder durch gute Taten noch durch Spenden. Dies ist die grundlegende Erkenntnis von Martin Luther gewesen – dem berühmten Reformator. Er hat darum gerungen, wie man mit seinen Fehlern vor Gott bestehen kann. Die Erkenntnis, dass Gottes Gnade einfach schon da ist, hat Luthers theologisches Denken tief geprägt. Zeit seines Lebens hat er die katholische Kirche bekämpft, mit dem Ergebnis, dass sich die Protestanten von den Katholiken getrennt haben. Das war vor 500 Jahren.

Gnade heißt also: Ich darf so sein wie ich bin, mit all meinen Fehlern und allem Guten, das in mir ist. Das ist natürlich auch kein Freifahrtschein, alles zu tun, was ich will – ohne Rücksicht auf andere. Da geben die zehn Gebote schon den Rahmen vor. Aber die Basis, die Gott in die Beziehung zu uns legt, ist Gnade und Freiheit. Gott vergibt mir, wenn ich keine Top-Leistung bringe und hinter meinen Ansprüchen weit zurückbleibe. Auch wenn ich mal vergesse, einen Parkzettel rechtzeitig nachzuziehen. Dann schickt Gott mir sogar noch einen Engel vorbei, der mir unverhofft aus der Patsche hilft und mich an Gottes Gnade erinnert.

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius


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