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Kirche in WDR 2 | 23.04.2020 | 05:55 Uhr
Rechtsradikalismus mitten unter uns
Ich sitze zwischen den Toten. Mitten in einer Kirche. Zwischen den Porträts von 183 Toten.
Sie alle sind Opfer rechter Gewalt. Wurden getötet von Rechtsradikalen zwischen 1990 und 2017. Die Toten der vergangenen zwei Jahre und vier Monate fehlen. Sie sind noch nicht erfasst. In der Ausstellung Opfer rechter Gewalt.
Solingen, Mölln, jüngst Halle und Hanau – die großen Anschläge – sie sind uns noch präsent.
Von anderen haben wir nie gehört.
Oder haben Sie schon mal von Horst Pulter gehört, 65 Jahre, obdachlos. Sieben Neonazis haben ihn mit einem Messer erstochen. Er schlief auf einer Parkbank.
Oder Klaus-Peter Beer, 48 Jahre, Busfahrer. Hat sich als homosexuell geoutet. Gegenüber Skinheads. Die haben ihn kurzerhand in einen Fluss geworfen. Dort ist er ertrunken.
Francoise Landu. 32 Jahre. Verbrannt in einem Flüchtlingsheim. Rechte hatten ein Brandanschlag verübt.
Ingo Finnern, 31 Jahre, Sinto. Ist von einem rechten Skinhead in`s Hafenbecken geworfen worden. Dort ist er ertrunken.
Amedeu Antonio Kiowa, 28 Jahre, ist ins Koma geprügelt worden - von Jugendlichen, die Jagd auf Schwarze gemacht haben. Elf Tage später ist er verstorben.
Obdachlose, Homosexuelle, Roma und Sinti, Geflüchtete – für die «Rechten» sind sie Menschen zweiter Klasse. Sie passen nicht in ihr Weltbild. Ihr Leben – nicht lebenswert. Sie stören. Müssen weg.
Der Professor hält einen Vortrag. Über die Leipziger Autoritarismusstudie 2018. Das Ergebnis. Fast jeder dritte Deutsche vertritt ausländerfeindliche Positionen. Jeder Dritte! Ich stehe an der Kasse im Supermarkt. Und zähle durch: eins, zwei drei, eins, zwei, drei. Soll ich die Ausländer mitzählen, die Zugereisten, die Menschen mit Migrationshintergrund. Keine Ahnung. Eins, zwei, drei.
Das Ergebnis. Es sind nicht nur die Rechten im Osten, die weit weg sind von NRW. Nein, die Rechten sind mitten unter uns. Wo zwei oder drei in Deinem Namen versammelt sind. Auch unter uns. In den Kirchen. Nein, ich rede nicht von gewaltbereiten. Aber von denen, die schon dafür sind, dass jetzt keine Ausländer mehr reindürfen. Genug ist genug. Der Professor sagt: Rechtsradikalismus ist mitten unter uns – in der Mitte der Gesellschaft. Dort müssen wir hinsehen, ihn suchen und ihm begegnen. Und manchmal auch den merkwürdigen Ansichten in unserem tiefsten Innern stellen. Lange genug haben wir weggesehen. Jetzt heißt es hinsehen.
Das sind wir ihnen schuldig – den Opfern rechter Gewalt.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius