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Kirche in WDR 2 | 15.04.2021 | 05:55 Uhr
Social Distancing
Im Sprachgebrauch nennt man das, was wir seit geraumer Zeit und meistens sehr gewissenhaft praktizieren: Social Distancing. Mit Social Distancing meinen die Virologen und Epidemie-Experten aber genaugenommen eher Physical Distancing.
Wir sollten uns also zumindest rein körperlich nicht zu nahe kommen - wegen der Ansteckungsgefahr, ist klar. Das wurde uns oft genug erklärt und fast alle haben das mittlerweile auch verstanden.
Leider
aber hat dieses körperliche Abstandhalten in ganz vielen Fällen nach all den
Monaten der Distanz auch zu einem wortwörtlichen Social Distancing geführt. Ich
bin ja von Haus aus Sozialarbeiter. Und soweit ich das sehe, herrscht grade
richtig
viel Soziale Distanz und das in
allen gesellschaftlichen Bereichen: In der Familie, im Freundeskreis in der
Integrationsarbeit, beim Ehrenamt, in der Kultur, bei den Wohlfahrtsverbänden
und natürlich in der Bildung. Erst jetzt wird mir klar, wie viele Begegnungen
ich in den letzten Monaten nicht hatte, Begegnungen die ich sonst sozusagen
institutionell, wie gewohnt und unabgespochen immer hatte – sozusagen im
Vorbeigehen und weil es die Situation eben ergab.
Manche Menschen sehe ich nämlich immer nur in bestimmten Zusammenhängen und diese Zusammenhänge gibt es im Moment überhaupt nicht. Der dicke Mann mit der Tuba von der dörflichen Blaskapelle oder die trotz aller Niederlagen euphorisch kreischenden Mütter der jungen Kicker in der lokalen Fußballmannschaft, das private und scheinbar vollkommen belanglose Gespräch über Karamellpudding nach Großmutters Art mit den Kolleginnen im Büroflur und natürlich sind da meine zugegebenen manchmal flachen Witze, die ich selber gerne mal mitten in irgendwelchen Meetings oder im Treppenhaus zwischen den Büros reiße. Mir fehlen meine eigenen Zoten – und natürlich die der anderen. Auch mir fehlt das Gegenüber. Manche Menschen, die ich sonst regelmäßig sehe, sind mir regelrecht abhandengekommen.
Ich
glaube wirklich: In diesen Zeiten
müssen
wir alle aufpassen, dass es nur bei Physical Distancing bleibt. Aber die sozialen
und scheinbar banalen Kontakte, die sollten möglichst erhalten bleiben.
Dafür
zoomen, skypen, posten und chatten wir, was das Zeug hält. Kontakt halten geht
aber nicht nur über die „neuen“ Medien. Manchmal tut es aber auch einfach der
Griff zu den alten Medien: Bereits 1861 hat nämlich der deutsche Lehrer und Erfinder
Philipp
Reis
einen Apparat
erfunden, den er Telefon nannte. Dieses Gerät stellte er damals den Mitgliedern
des
Physikalischen Vereins in Frankfurt
vor. Die klugen Geister des
physikalischen Vereins haben die Bedeutung dieses damals neuartigen Gerätes
sofort erkannt, weil man damit mühelos physikalische Distanzen von großer
Reichweite überbrücken konnte, was soziale Nähe erzeugen kann.