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Hörmal | 24.05.2021 | 07:45 Uhr
Geburtstagsbrief
Liebe Kirche,
herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Nachträglich. Tut mir leid, dass ich gestern nicht dran gedacht habe!
Aber weißt du, was ich dir immer schon mal sagen wollte: Du bist wie meine Familie. Ich liebe sie und sie macht mich wahnsinnig. Sie hat mich geprägt und ich bin ein Teil von ihr, aber manchmal passen wir echt nicht zusammen. So geht es mir bei dir auch.
Ach Kirche, irgendwie findest du nie die Balance. Zwischen Tradition und Innovation. Zwischen Reden und Handeln. Zwischen Mensch und Gott.
Und Du? Sei ehrlich: Du findest mich manchmal auch so richtig daneben, oder? Dass ich so viel von dir erwarte und ich nicht einmal mit dir zufrieden sein kann. Dass ich alles was bei dir mit Institution, Organisation oder Religionsverwaltung zu tun hat, am liebsten in den Wind schießen möchte. Fragst du dich auch, warum wir noch zusammen sind? Ich mag keinen Kitsch, aber ich glaub, es muss Liebe sein. Ich liebe die Menschen, die ich bei Dir treffe und manchmal treffe ich bei dir auch: Gott.
Ach, Kirche, was wäre ich nur ohne dich. Zu dir konnte ich kommen, wie ich war. Damals mit zwölf. Nicht mal getauft war ich oder gläubig. Bei dir bin konnte ich werden, wer ich bin. Mit dir habe ich über das nachgedacht, was wirklich zählt: Was in mir steckt, wie ich leben will, was mit den anderen ist. Und was das mit Gott zu tun hat. Mit dir bin ich losgezogen ins Leben.
Ach, Kirche, ich brauch dich, wenn du da, wo es unfassbar dunkel ist, ein Licht anzündest. Wenn du Menschen zusammenbringst, den Blick weitest und einfach den Wahnsinn verkündest: Gott ist mitten unter euch.
Ach Kirche, ich vertraue deiner Sichtweise, wenn du die Welt mitfühlend und realistisch im Blick hast. Als wunderbaren Lebensraum voller unfassbarem Potenzial und als leidgeplagte Welt, in der sich jeder und jede um sich selbst dreht.
Ach Kirche, ich glaub dir. Wenn du Menschen auf Augenhöhe begegnest und erstmal zuhörst. Wenn du jeden Menschen in seiner oder ihrer Freiheit ernst nimmst und ihnen Mut machst sich einzubringen und Verantwortung zu tragen.
Und Kirche: Ich ich mag dich, wenn du dich veränderst. Weil du dich berühren lässt oder einsiehst, dass du dich verrannt hast. Ich bin fast stolz, dass du wenigstens anfängst, nicht mehr so sexistisch und rassistisch zu sein. Und ich bin dankbar für alle, die so lange bei dir geblieben sind und gekämpft haben. Auch für die Liebe. Gesegnet werden Paare, die sich lieben. Zumindest bei den Evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen. Und bei der Frage, wer segnen darf, kommt es auf die Begabung an und nicht auf die Kategorien Mann oder Frau.
Ach Kirche, ich wünsche dir so, dass du noch ein bisschen mehr Du wirst. Dazu brauchst du die anderen und mich – und Gottes Segen.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius