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Kirche in WDR 2 | 10.10.2022 | 05:55 Uhr
Frau Dr. Fuchs
Frau Dr. Fuchs ruft mich fast jeden Tag an. Und das ist so gekommen: Als der erste Lockdown wegen der Coronaepedemie war, durfte sie monatelang ihr Zimmer nicht verlassen. Und das ist ja für alle alten Menschen in den Seniorenheimen katastrophal gewesen. Besonders aber für Frau Dr. Fuchs. Denn sie ist sehr depressiv.
Und eines Tages hat sie mich angerufen. Und sie hat mir gesagt, dass es ihr schwerfällt unter diesen Bedingungen zu leben. Und dass sie hofft, dass es bald zu Ende geht. Und da habe ich ihr gesagt, sie soll mich doch einfach anrufen, wenn es ihr schlecht geht. Und dann reden wir ein bisschen. Jedenfalls so lange, bis es ihr wieder besser geht. Und so machen wir es seitdem. Fast jeden Tag.
Und neulich, da ging es mir selbst schlecht. Zweieinhalb Jahre hat es gut gegangen. Aber dann hat mich das Coronavirus erwischt. Und wie es mich erwischt hat. Ein paar Tage war es mir richtig hundeelend. Und mitten in meinem Elend, da hat das Telefon geklingelt. Und Frau Dr. Fuchs ist drangewesen. Sie hat natürlich gemerkt, dass ich krank bin. Und als ich ihr gesagt habe, wie krank ich bin, da hat sie gesagt: „Ich komme heute vorbei und stelle etwas vor Ihre Tür.“ Aber weil ich ja weiß, wie schwer ihr das Gehen fällt und weil ich weiß, dass es von ihrem Zuhause bis zu mir ganz schön weit ist, habe ich ihr gesagt, dass sei doch nicht nötig. Und sie müsse sich nun wirklich keine Mühe machen. Aber da hat Frau Dr. Fuchs gesagt: „Eine Ärztin bleibt immer eine Ärztin. Und wenn jemand krank ist muss man sich kümmern.“ Und dann hat sie aufgelegt. Und hat sich mit ihrem Rollator aufgemacht. Quer durch die Innenstadt. Hat im Obstgeschäft und in der Drogerie eingekauft. Und nachmittags hat ein Beutel vor meiner Tür gestanden. Mit Äpfeln und einer Pampelmuse. Mit Sanddorn- und Holundersaft. Mit Keksen und Schokolade. Und mit einem Zwei-Euro-Stück für Leckerchen für unseren Hund. Einen halben Tag hat sie für diese Tour gebraucht. Ich war sprachlos und sehr berührt.
Ich habe Frau Dr. Fuchs sofort angerufen und mich bedankt. Und sie hat gesagt: „Ihr Kranksein hat mich heute motiviert, zum ersten Mal seit langer Zeit wieder das Haus zu verlassen.“ Tja. Eine Wahnsinnsanstrengung für einen so kranken Menschen. Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken, hat Jesus mal gesagt. Und es tut gut, dass in einem Seniorenheim irgendwo in Köln eine besonders tolle Ärztin auf mich aufpasst. Nicht nur an einem Montagmorgen.