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Kirche in WDR 2 | 19.04.2023 | 05:55 Uhr
Sagen, was ich denke
Wie mir das manchmal auf die Nerven geht: das Geschrei auf facebook oder twitter. Ganz egal, zu welchem Thema man sich äußert, egal, welchen Meinungsbeitrag man einfach nur teilt. Wut, Hass, Unterstellungen, in voller Lautstärke.
Sollen wir’s einfach lassen? Nur noch im Freundeskreis diskutieren? In unserer Blase, wo wir alle ungefähr gleich denken?
Ich bin jetzt kurz davor. Ich sage einfach nicht mehr, was ich denke. Nein, nein, ich gehöre nicht zu denen, die behaupten: Man kann ja nicht mehr offen sagen, was man denkt. Das Gegenteil ist ja das Problem: Dass so viele zu laut und zu oft sagen, was sie denken. Jedenfalls glauben sie wohl, dass das Gedanken sind. Ich wünsche mir dann eine Art digitalen Lärmschutzwall.
Es ist eher so: Ich gucke Nachrichten, lese Zeitung, verfolge die Talkshows, ich denke gründlich über Dinge nach. Dann komme ich zu Ergebnissen, die ich für überzeugend halte, für begründet, für nachdenkenswert. Um ehrlich zu sein: Ich halte sie für richtig. Zumindest aber für diskutierbar.
Deshalb wünsche ich mir Andere herbei, die noch bereit und in der Lage sind, zu diskutieren. Dann können wir abwägen, wer jetzt in welchem Punkt etwas Richtiges sieht, womöglich sogar Recht hat, damit uns das gemeinsam weiterbringt zu guten Entscheidungen. Man nennt das: Meinungsbildung. Aber ich überlege das jetzt: Ich sage vielleicht einfach nicht mehr, was ich denke. Ich behalte es für mich. Ich sage etwas anderes, ich weiche aus, ich stelle mich stumm. Weil solche Leute, die diskutieren wollen und können, kaum noch da sind. Es sind fast nur noch Leute da, die seltsame Reflexe haben: Hass, Vorurteile, hetzerische Phrasen. Oder sind das alles schon Bots und keine echten Menschen mehr? Künstliche Dummheit statt künstlicher Intelligenz? Nein, ich fürchte, da sind schon noch ganz normale Menschen unterwegs in den sozialen Netzwerken. Das Problem: Die meisten denken, sie sind im Besitz der absoluten Wahrheit. Das ist lächerlich. Aber leider auch brandgefährlich. Sie sind willens, jeden mit ihrer Hexenjagd zu verfolgen, der noch selbst denkt und selbst zweifelt. Immer mehr Menschen passen sich an oder schweigen. So sieht er dann aus: der Triumph a-sozialer Medien und das Ende von Aufklärung und Demokratie.
Ach so, jetzt muss ich ja noch sagen, was daran nicht nur demokratisch, sondern auch christlich ist, weil wir hier bei der Kirche sind. Wie wäre es mit dem Klassiker: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Und mit dieser Liebe – ohne Hass, ohne Rechthaberei – sage, was du denkst! Bitte, weiterhin! Sonst… Gnade uns Gott!
Quelle:
Angeregt durch einen
gesprochenen Text von Heinz Rudolf Kunze auf der CD „Auf frischer Tat ertappt –
das Jubiläum Live 2022“, ? 2022 Meadow Lake Music.
Und: https://www.rnd.de/medien/demokratie-geht-anders-dunja-hayali-beklagt-nach-interviews-mit-lauterbach-und-ricarda-lang-diskurs-HTCVBBWCUZBSNJCIOQJ3ET5FIU.html
(zuletzt aufgerufen am 28.03.2023)
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
