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Hörmal | 30.04.2023 | 07:45 Uhr
Heidegger in der Sesamstraße
Nun, um Erinnerungen an die Sesamstraße zu wecken, könnte ich jetzt Ernie und Bert nennen, den grummeligen Herrn von Bödefeld, den gütigen Samson, Graf Zahl oder Professor Hastig: Falls Ihnen diese Namen nichts sagen: schmeißen Sie eine Video- Suchmaschine an, da finden Sie sie alle. Aber in mein Kinderhirn hat sich vor allem eine Szene eingebrannt und die finden Sie, wenn Sie in die Suchmaschine eingeben: „Krümelmonster und Lulatsch erklären ‚hier und da‘“. Was Sie dann sehen? Das ist großes Kino: Philosophie für Kinder über Raum, Zeit und dem Wissen um sich selbst!
Während die beiden großen Monster nämlich über Schmalzkekse fachsimpeln, gesellt sich ein kleines Einhorn-Monster dazu und bittet die Großen um Hilfe. „Ich möchte den Unterschied von hier und da wissen“, quäckt es. Also stellt sich Lulatsch nach hinten, Krümel nach vorne. „So jetzt bist Du hier“, erklärt Krümel gönnerisch. „Ich möchte aber so gerne da sein“, quäckt das kleine Monster. Und hastet zu Lulatsch. „Bin ich jetzt da?“ „Nein jetzt bist Du hier“. „Ich will aber so gerne ‚da‘ sein“…und so hastet das kleine Monster immer von Lutatsch zu Krümel und zurück und verpasst immer den Moment, an dem es ‚da‘ sein kann, weil es, kaum angekommen, immer schon ‚hier‘ ist.
Später, in meinem Theologiestudium, habe ich mich eingehender mit dem großen Philosophen Martin Heidegger befasst. Bei ihm spielt das „Da-Sein[1]“ eine große Rolle. Es unterscheidet den Menschen von anderen Dinglichkeiten und Wesen auf dieser Erde, weil sie nämlich nur „vorhanden sind“, so nennt Heidegger das. Der Mensch aber ist „da“, weil er sich seiner selbst bewusst ist.
Und jedes Mal, wenn ich das im Studium
las, musste ich an die drei Monster aus der
Sesamstraße denken und schmunzeln, denn das kleine Monster hat vielleicht auch keinen
Ort gesucht, sondern sich selbst, egal ob es jetzt hier oder da war.
Ob Heidegger die Sesamstraßenfolge noch gesehen hat – ich bin mir unsicher. Er hätte es aber theoretisch noch sehen können, denn er starb 3 Jahre nachdem die erste Folge in Deutschland zu sehen war. Dieses Jahr wird die Sesamstraße 50 Jahre alt. Und im Mai startet dazu eine große Ausstellung in Hamburg. Und dass die Sesamstraße einen Effekt auf die Bildung von Kindern hat – das ist sogar wissenschaftlich erwiesen.[2]
Ob „Bob der Baumeister“ oder „Peppa Pig“ ebenso nah an Heidegger gebaut sind wie die Sesamstraße? Ich weiß es nicht: meine Kindheit war da schon vorbei. Das spielte für mich keine Rolle mehr. Für mein bewusstes „in der Welt sein“ jedenfalls war die Sesamstraße enorm wichtig. Und daher wird zu meinem „hier“ im Mai gehören, dass ich mir in Hamburg die große Ausstellung anschaue…und ich bin gespannt, ob ich Krümel und Lutasch da antreffe.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Dasein?wprov=sfti1
[2] https://www.sesameworkshop.org/de/wer-wir-sind/unsere-wirkung