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Kirche in WDR 2 | 24.05.2023 | 05:55 Uhr
Bangemachen gilt nicht
Ich
war in der zweiten Klasse, da war ich beim Vorsingen. In meiner Heimatstadt
waren damals die „Westfälischen Nachtigallen“ der Mädchenchor überhaupt. Die
sangen sogar mit Heino und Co im Fernsehen. Da wollte ich mitsingen, wie meine
Schwester.
Das Vorsingen- reine
Formsache, dachte ich. In meiner Familie waren sich alle einig, dass ich singen
kann, was sollte da schon schiefgehen. Sie ahnen: Es kam anders. Ich hatte
gefühlt zwei Töne vorgesungen, da hat der Chorleiter abgewunken. Dann war die
nächste dran. Das war’s für mich mit dem singen. „Ich kann nicht singen“ war
seitdem meine feste Überzeugung, schließlich war mir das ja von höchster Stelle
sozusagen bestätigt worden.
Nun
kommt man in meinem Beruf am Singen zum Glück nicht vorbei. Kein Gottesdienst
ohne Gesang. Und ich hab immer den anderen Mut gemacht:
„Singen ist ein Menschenrecht“ habe ich
diesen Mit-Unsicheren dann immer entgegnet. „Egal, wie’s klingt“, hab ich dann
noch vorsichtshalber angefügt.
Und
dann kam Corona. Singen war erstmal tabu. Auch im Gottesdienst. Und danach
wollte ich es dann wissen: Kann ich wirklich nicht singen? Ich würde doch so
gerne! Lässt sich das lernen? Ich habe all meinen Mut zusammengenommen und mir
einen Gesangslehrer gesucht. Seitdem habe ich viel gelernt - Töne abnehmen geht
inzwischen ganz gut, sie treffen oft auch, atmen ist dagegen gar nicht so
selbstverständlich, wie ich dachte. Es muss so nach Stunde fünf gewesen sein,
als mein Gesangslehrer meinte: „Du solltest parallel in einem Chor
singen.“
Das
Entsetzen stand mir ins Gesicht geschrieben. Nicht, dass ich an seiner
Kompetenz gezweifelt hätte aber ich hielt ihn da doch für ein wenig zu
optimistisch. Meinen Gesang für eigentlich noch unzumutbar. Und die ersten
Chorproben waren für mich wirklich furchtbar. Immer die Unsicherheit im Nacken,
ob ich mit falschen Tönen und zu kurzen Pausen
alle um mich herum in den Wahnsinn treibe. Es hat viel gutes Zureden,
viele aufmunternde Blicke gebraucht, um weiterzumachen.
Und
dann ist dieser Satz gefallen, von einem der erfahrenen Sänger aus dem Bass:
„Bangemachen gilt nicht“ Er hat das nicht zu mir gesagt, sondern wohl mehr zu
sich selbst. Er, der vermutlich schon länger singt, als ich auf der Welt bin,
musste sich selbst ein bisschen Mut zusprechen, als eine schwierige Passage in
einem neuen Stück anstand. Da habe ich verstanden: Für die meisten hier im Chor
bleibt es ein Üben, ein sich rantasten, immer wieder. Viele brauchen die
Ermutigung: Bangemachen gilt nicht. Und da ist bei mir ein Knoten
geplatzt.
Ich bleibe dabei: Singen ist ein Menschenrecht. Es stiftet Gemeinschaft. Es ist gesund, macht Freude. Als Chor kann man gemeinsam etwas entstehen lasse – das finde ich großartig.. Wenn Sie also auch von sich meinen, nicht singen zu können, dann lassen Sie sich von mir gesagt sein: Wir sollten nicht alles glauben, was wir denken.