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Kirche in WDR 2 | 06.07.2023 | 05:55 Uhr
Ein Funken Nächstenliebe
Aber: Krisen und Katastrophen sind immer auch Zeiten, in denen Menschen über sich hinauswachsen. Auch das konnte ich während Corona erleben. Folgender Hintergrund: In meinem Heimatort im Wendschen unterstützen die Menschen seit vielen Jahren die Dernbacher Schwestern in Indien. Die betreiben dort zahllose Bildungs- und Gesundheitsprojekte für die Ärmsten der Armen. Da werden Schulgelder bezahlt, Ausbildungen ermöglicht, Internate gebaut, Mahlzeiten und Medikamente zur Verfügung gestellt. Vor allem für Mädchen und Frauen. In der Praxis läuft das dann so, dass wir vor Ort bei uns eine Initiative haben, eine Art Verein. Die sammelt Spenden und mit denen werden die Projekte finanziert.
Mit
Corona kamen das aber fast alles zum Erliegen. Weil jedwede Art von Versammlung
untersagt war. Das Problem war nur: Mit diesen Versammlungsverboten und
Betriebsschließungen verloren auch die zahllosen Tagelöhner und
Gelegenheitsarbeiter ihren Job. Die standen von heute auf morgen auf der
Straße. Die hatten von jetzt auf gleich nichts mehr. Für sich nicht – und auch
nicht für ihre Familien.
Was sich da abgezeichnet
hatte, war eine Katastrophe. Und die war noch viel schlimmer als Corona. Die
Dernbacher Schwestern in Indien haben deshalb nicht lange gezögert. Sie dachten
sich: Naja, wenn wir die Schulen schließen müssen, brauchen wir die
Lebensmittel nicht für die Mittagspausen. Die können wir dann ja abgeben. Nach
einiger Zeit waren die Lebensmittel aber verbraucht. Also dachten sich die
Schwestern: Naja, viele Projekte sind ja jetzt erst einmal auf Eis gelegt. Dann
nehmen wir das Geld und kaufen Lebensmittel davon, damit die Menschen nicht
hungern müssen. Irgendwann war aber auch das Geld aufgebraucht. Also dachten
sich die Schwestern: Naja, die Pandemie wird wohl nicht ewig dauern. Wir
rationieren unsere Bestände und teilen die auf. So bekommen wenigstens alle ein
bisschen was zu essen. Die Pandemie dauerte aber länger – und irgendwann hatten
weder die Schwestern noch die Tagelöhner und ihre Familien zu essen. Die
Speisekammern waren leer.
Ich weiß nicht, was mich damals mehr berührt hat: Die Selbstlosigkeit der Schwestern – oder deren Gottvertrauen, dass alles gut wird – oder der Umstand, dass sie in einem kurzen Telefonat mit der Sprecherin unserer Indien-Initiative in Schönau die Situation geschildert haben, die dann darüber redete … und innerhalb weniger Tage und Wochen mehrere zehntausend Euro an Spenden gesammelt wurden, mit denen weitere Lebensmittel beschafft werden konnten.
Ich weiß nicht, ob ich die Größe dieser Schwestern gehabt hätte. Aber ich weiß, dass ich bis heute beeindruckt bin davon, wie die ihr Christsein definiert haben – und wie ganz viele Menschen hier bei uns davon haben anstecken lassen. Obwohl die in dieser Zeit sicherlich auch vor Herausforderungen und Problemen standen. Wo Arbeitslosigkeit und Geldnot sicher auch ein Thema waren. Trotzdem hat dieser Funke Nächstenliebe auch hier einen Flächenbrand von Solidarität ausgelöst.