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Hörmal | 20.08.2023 | 07:45 Uhr
genial parasozial
Im Sommer war ich in Island. Klar: Die Natur lässt einen genug staunen. Aber was mich ebenso hat staunen lassen: Wussten Sie, dass das größte von Menschenhand gemachte Bauwerk in Westeuropa ausgerechnet auf Island zu finden ist? Ganz im Westen, auf einer Klippe, dahinter kommt nur noch der Atlantik und dann irgendwann Amerika, da steht er: der Sendemast von Gufuskálar[1].
Dieser Mast ist 412 Meter hoch und damit zweieinhalbmal so hoch wie der Kölner Dom, höher als der Pariser Eifelturm. Seit genau 60 Jahren steht der Sendemast in Gufuskálar. Warum um alles in der Welt wurde so ein Ding am westlichsten Zipfel Europas in die Höhe getrieben? Der Sendemast dient zur Radioübertragung. Und das finde ich als Mann von Kirche im WDR ja mal sehr sympathisch.
Und ich erzähle heute davon, weil heute in den USA der nationale Radiotag ist[2]. Hierzulande gibt es keinen solchen Gedenktag. Wobei: In diesem Jahr wäre der sogar angebracht und zwar am 29. Oktober. Denn genau vor 100 Jahren hat hierzulande das Radiozeitalter angefangen. Die ersten jemals auf Deutsch gesprochenen Worte sind sogar überliefert. Das sind diese:
„Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin, im Vox Haus. Auf Welle 400 Meter“[3]
Ich finde diese ersten Worte witzig. Was sonst hätten die ersten Worte im deutschen Radio sein können, als so eine recht technische Ansage? „Achtung, Achtung“… Was aus dem Radio geworden ist, das ist dann eine ganz eigene Geschichte. Die will ich hier jetzt gar nicht nacherzählen. Dafür gibt es bessere Radio-Formate, das „Zeitzeichen“ z.B.
Aber ich will über einen Begriff nachdenken. Der hat sich mir eingeprägt, als ich jetzt schon vor 12 Jahren angefangen habe, hier bei „Kirche im WDR“ zu arbeiten. „Parasozialität“ heißt der. Schwieriges Wort. Aber: das beschreibt eine der Grundfunktionen vom Radio. Neben Unterhaltung und Information ist das nämlich: die Parasozialität. Um es einfach zu sagen: Das Radio schafft eine Form von Sozialisierung – dass ich fühle, als ob ich nicht allein wäre. Bei mir sieht das praktisch so aus: Wenn meine Frau nicht da ist, dann stelle ich mir nachts das Radio mit dem Stunden-Timer. Und zwar Wort-Radio. Ich brauche, um Einzuschlafen nicht Musik, aber das Gefühl, dass da jemand zu mir spricht. Ich weiß auch nicht genau, warum ich das brauche. Aber ich ahne, ich bin damit nicht allein, dass ich so nachts manchmal Radio höre.
Und jetzt wird’s doch noch religiös: Dass jemand zu einem spricht obwohl die Person nicht sichtbar ist, das zieht sich durch die Religionsgeschichte: Mose am brennenden Dornbusch hört eine Stimme: „Achtung, Achtung – hier ist der Ich-bin da.“ Mohammed ist 40 als er nachts eine Stimme hört: „Achtung, Achtung – rezitiere!“ (übrigens: das Wort „Koran“ heißt genau das: „Rezitation“). Maria in Nazareth hört eine Stimme: „Achtung, Achtung – Du wirst ein Kind gebären“. Eine lebensverändernde Botschaft hören und nichts sehen können: das steht am Anfang von: Judentum, Islam und auch Christentum. Der Apostel Paulus hat mal geschrieben: „Der Glaube kommt vom Hören“ (Römer 10,17). Religiosität hat vielleicht auch etwas mit Parasozialität zu tun. Vielleicht ist es mir das Radio deshalb so sympathisch, weil es hier nur ums Hören geht. Und vielleicht finde ich das deshalb auch sympathisch, dass das höchste, von Menschen gemachte Bauwerk in Westeuropa ausgerechnet ein Radiosendemast am äußersten Zipfel von Island ist. Ich find das irgendwie genial-parasozial.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Sender_Gufusk%C3%A1lar
[2] https://www.nationalradioday.com/about/
[3] https://www.swr.de/swr2/wissen/archivradio/achtung-achtung-so-begann-die-erste-rundfunksendung-102.html
