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Hörmal | 01.11.2023 | 07:45 Uhr
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Nur langsam gewöhnen sich ihre Augen an das Novembernachmittagslicht, das in die menschenleere Kirche fällt. Neugierig schaut sie sich um. In einer Ecke flackern Lichter vor einem kleinen Altar. Obwohl sie nicht katholisch ist, zündet sie ein Teelicht an und stellt es behutsam zu den anderen. Ihr Blick geht nach oben zu der Heiligenfigur, die milde lächelnd auf die Lichter zu ihren Füßen blickt.
Keine Ahnung, wer das ist. Ein Mann mit krausen Haaren und langem Gewand. In der Hand hält er einen Hirtenstab, der golden glänzt. Die Figur sieht so lebensecht aus und lächelt einen unmittelbar an. Sie lächelt prompt zurück und erwischt sich dabei, wie sie in Gedanken mit der Statue spricht. „Ich weiß nicht, wer Du bist und warum man Dich hier aufgestellt hat. Vermutlich bist Du ein Heiliger. Du warst wohl sehr fromm und hast ein vorbildliches Leben geführt. Tja, das kann mir nicht passieren. Ich bin zwar kein schlechter Mensch, aber ich hab` einfach auch `ne Menge Macken, weißt du?“ Erwartungsvoll schaut sie die Figur an, als ob die nun ihrerseits gleich antworten wird. Das geschieht Gott sei Dank nicht. Aber in dem Moment, als sie von ihren vielen Macken spricht, fällt ihr auf, dass die Goldfarbe der Figur an vielen Stellen abgeblättert ist. Und auch, wenn es ihre eigenen Gedanken sind, hat sie das Gefühl, es ist die Antwort ihres Gegenübers: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ „Stimmt,“ denkt sie. „Wenn man genau hinsieht, hast auch du Macken. Warst bestimmt auch mal ein ganz normaler Mensch, bevor man dich heiliggesprochen hat.
Ich bin nicht mal eine regelmäßige Kirchgängerin, aber irgendwie glaube ich trotzdem an Gott, bete manchmal und bemühe mich, fair zu leben. War nett mit Dir geplaudert zu haben.“ Gerade will sie gehen, da entdeckt sie diesen Gottesdienstzettel vom Morgen.
„Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen… .“
Sie dreht das Blatt um und liest auf der Vorderseite: Ökumenischer Gottesdienst zu Allerheiligen am 1. November.
Sie blickt noch einmal die Heiligenfigur an und jetzt könnte sie schwören, dass er ihr freundlich zugezwinkert hat und in ihre Gedanken so etwas flüstert wie: „Allerheiligen! Gemeinschaft der Heiligen – dazu gehörst du, genau wie ich. Macken hin oder her. Gott hat uns durch seine Liebe zu seinen Heiligen berufen. Nicht alles ist Gold, was glänzt, nicht alles, was wir auch mit guten Absichten tun, ist eine Glanzleistung, aber er vergibt und schenkt uns das Leben. Lass es uns nutzen, um zu handeln, so gut, wir können. Gemeinsam sind wir Gottes Heilige, heute und an jedem Tag.“
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius