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Kirche in WDR 2 | 10.02.2024 | 05:55 Uhr
Schweigen können
Wer hat recht? Im Zweifelsfall ich. Das ist so menschlich. Und ist auch eine Art Überlebensstrategie.
Es hat aber auch eine Kehrseite und das kann man in diversen Talkshows erleben und jede bei sich zuhause am Küchentisch auch: Menschen treffen aufeinander, konträre Positionen,
Wort schlägt Wort. Jeder aus voller Überzeugung. Kein Gespräch mehr, keine Debatte. Eigentlich sprechen zwei aneinander vorbei. Und am Ende fühlt sich jeder: nicht verstanden, ungerecht behandelt, provoziert.
An der Universität in Haifa in Israel gab es jetzt ein Experiment mit 100 Personen über die Frage: Wie reden wir miteinander. Ein Ergebnis, und das nennen die Forscher „Boomerang-Effekt“: Jeder Mensch hat den Drang, auf ein Argument des anderen selbst noch ein besseres, härteres draufzusetzen. Und er denkt dann in der Debatte auch nur noch daran und hört gar nicht mehr zu.
Doch was passiert, wenn ein Gesprächspartner wirklich auf die Sichtweise des anderen hört? Dann läuft der andere nicht heiß und er kommt selbst ins Nachdenken. Die Forscher sagen: Der Schlüssel zu einem guten Gespräch ist Schweigen.
Interessant finde ich, dass diese Studie in Israel durchgeführt worden ist, wo ja nun heftige Konflikte aufeinanderprallen, der Krieg in Gaza und auch im Land selbst, und einem zunehmend die Phantasie fehlt, wie sich das lösen lässt.
Mehr Schweigen. Jesus hat das vorgemacht. Als die Volkseele brodelt, und die Menschen eine Sünderin steinigen wollen, setzt er sich auf den Boden, schweigt und malt erst einmal mit den Händen in den Sand. Und sagt dann nachher nur diesen einen Satz: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ (Johannes Kap. 8)
Wer schweigt, kann zuhören, sich in die Situation einfühlen, auf neue Gedanken kommen.
Einfach mal Mund halten. Gar nicht so einfach. Manchmal muss man sich wohl innerlich auf die Zunge beißen oder wie Jesus in den Sand malen. Schweigen kostet Kraft. Aber es lohnt sich. Es wird nachdenklicher. Es entsteht Nähe. Und am Ende kann sich ganz viel verändern. Bei Jesus ziehen die Menschen ab. Es gibt keine Steinigung. Ein Segen.
Ist das die Zukunft unserer Talkshows? Löst das den Konflikt im Nahen Osten? Ich weiß es nicht. Aber ich kann anfangen bei mir in meinen Debatten mit meiner Frau, meinen Kindern, den Kollegen im Büro. Weniger selbst reden. Stiller werden und zuhören.
Quellen:
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37917499/
https://www.sueddeutsche.de/wissen/polarisierung-debatte-zuhoeren-1.6301098
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth