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Kirche in WDR 2 | 02.05.2024 | 05:55 Uhr
Gefühllos
Karla ist umgezogen. Von einem traumhaften Pippi Langstrumpf Haus aus den 20gern in eine Wohnung. Am Waldrand mit Garten und einem Teich. Sie erzählt: Mein Bruder ist gekommen, hat die Wohnung durchschritten und erstmal nichts gesagt. Irgendwann hat er gesagt. Ist ja schon was anderes als euer Haus. Wahnsinns Feststellung. Soll Karla sich jetzt rechtfertigen. Warum sie das Haus nicht mehr haben will? Weil die Nebenkosten viel zu hoch sind und die Kinder ausgezogen. Oder einfach schweigen.
Karla ist total enttäuscht und ich kann das verstehen. Ich kenne das auch.
Die Freundin, die nichts zu meinem neuen, roten Mantel sagt. Und auf Nachfrage sagt: Er gefällt mir nicht. Weder das Material, noch der Schnitt, noch die Farbe. Ja, da habe ich auch erstmal geschluckt. Damals bin ich so stolz gewesen, dass ich es überhaupt geschafft habe, mir einen Mantel zu kaufen. Nach der Geburt meines Sohnes mit Bandscheibenvorfall.
Was machen? Wenn Menschen, die man gut kennt, sich komplett gefühllos zeigen bei einer Angelegenheit, die einem wichtig ist? Natürlich kann man anfangen, zu analysieren, Gründe zu finden, um ihr Verhalten zu entschuldigen.
Wahrscheinlich hätte Karlas Bruder auch gerne einen Garten mit Teich. Wahrscheinlich hat meine Freundin, die keine Kinder hat, keine Ahnung, wie schwer es nach einer Geburt sein kann, wieder shoppen zu gehen. Mit Rückenschmerzen, dem schreienden Baby, dem Stillen müssen.
Ich habe keine Lust mehr, nach Gründen zu suchen, warum der oder die das oder jenes macht oder nicht macht. Was mir hilft, ist die Einsicht, im Moment kriegen sie gar nichts mit. Können sich null einfühlen und noch nicht mal anstandshalber sagen: Interessant, steht Dir, cool. –
Immer ehrlich sein – ich weiß nicht. Vielleicht auch mal den Anderen wahrnehmen und ihn würdigen, mit dem was er gerade geschafft hat. Den Umzug, den Kauf eines Mantels, die Bewerbung, den Stellenwechsel, die neue Beziehung. Würdigen heißt: Ich habe Dich gesehen. Ich habe gesehen, was Dir wichtig ist, worauf Du stolz bist, was Dir gefällt.
Den anderen sehen und ihn wertschätzen. Mein Gott, ist das so schwer. Was wir selber denken, ist doch egal. Ob wir das auch so machen würden. Es geht ausnahmsweise mal nicht um uns. Es geht um den anderen, die andere.
Gesehen werden – wenn ich jetzt sage, dass wir das von Jesus lernen können, klingt das fromm und kitschig. Ich sage es trotzdem. Weil wir es bei ihm lernen können. Er schaut die Menschen an und sieht, was sie brauchen. Und ja, sie bekommen das, was sie brauchen. Den Zuspruch, die Ermutigung, das Wunder.