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Kirche in WDR 3 | 04.04.2014 | 07:50 Uhr

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Lieber Hörer, liebe Hörerin,

den ganzen Abend hatten wir über Mindestlohn diskutiert. In bunt gemischter Runde. Neben mir saß ein Unternehmer. Mit leicht aggressivem Unterton wendete er sich an mich und sagte: „Ihr frommen Leute meint, die Kuh würde im Himmel gefüttert und auf der Erde gemolken. So denkt ihr in der Kirche.“ Und als er merkte, dass ich Einspruch erheben wollte, setzte er noch eins drauf: „Götterspeise macht nicht satt. Das Geld muss auf der Erde verdient werden.“ Mir blieb für einen Moment die Sprache weg. Der Mann hat Recht. Im Wirtschaftsleben zählt der Erfolg. Da müssen Gewinne gemacht werden. Rote Zahlen kann sich auf Dauer kein Unternehmen leisten. Da hilft keinem, was Gott tut. Da kommt´s drauf an, was Menschen schaffen. „Aber“, konterte ich, „die Wirtschaft ist doch für den Menschen da – und nicht umgekehrt!“

Jetzt schaltete sich eine Frau ein, die unserm Wortwechsel zugehört hatte. „Die Wirklichkeit sieht anders aus“, sagte sie bitter. „Wer keine vernünftige Ausbildung hat, so wie ich, landet schnell auf der Straße. Mich will niemand. Und mein Bruder kann von seinem Lohn die Familie nicht ernähren, obwohl er einen Vollzeitjob hat.“

Das Gespräch wurde immer intensiver. Immer mehr kamen dazu. Mir wurde klar: Selbst Führungskräfte sind beständig vom Scheitern bedroht, wenn die Ergebnisse nicht stimmen. Ganz schnell kann der Lebenslauf daran hängen, ob ein Mensch genug Nutzwert hat oder nicht. Daran, ob seine Leistung sich lohnt und genug Gewinn bringt – oder ob er als überflüssig gilt. Entbehrlich, weil er nichts mehr leisten kann.

Das ist so wie mit einem Feigenbaum in einem Weinberg, erzählt Jesus einmal. (Lukas 13,6-9) Seit drei Jahren wartet der Besitzer darauf, dass der Baum Früchte trägt. Mit köstlichen Feigen hat er gerechnet. Vergeblich. „Hau ihn ab“, sagt er zum Weingärtner. „Was nimmt der Baum dem Boden die Kraft?“ Eigentlich macht der Feigenbaum keinerlei Probleme. Und doch stört er, weil er nichts bringt. Weil er die Erwartungen nicht erfüllt. Der Weingärtner, so Jesus weiter, setzt sich für den Baum ein. „Lass ihn noch ein Jahr stehen“, bittet er. „Ich will ihn düngen und graben. Vielleicht bringt er doch noch Frucht.“ Statt der Axt kommt nun der Spaten. Statt „Hau ihn ab!“ heißt es nun „Ich kümmere mich um ihn.“ Aufmerksamkeit und Fürsorge hat der Baum noch nie zuvor erfahren. Wird sich der Aufwand lohnen? Oder wird er ein weiteres Jahr nichts bringen? Jesus lässt offen, wie die Geschichte ausgeht.

„Lass ihm noch ein Jahr, vielleicht bringt er doch noch Frucht.“

Die Stimme Gottes ist das.

Ein Mensch ist nicht dann erst etwas wert, wenn er erfolgreich ist und Gewinne bringt. Andererseits: Dass der Mensch Erfolg hat, etwas leisten kann und sich daran freut – da hat Gott nichts gegen. Früchte des Tuns, die soll er ernten. Das hat mit Würde zu tun. Weil der Mensch so kostbar ist, darf ihm niemand verwehren, sich zu entfalten. Dazu muss er zuallererst anerkannt und unterstützt werden. Dazu braucht er Ansehen und gerechte Entlohnung. Und: Zeit.

Es war schon spät am Abend, als der Unternehmer noch einmal auf mich zukam.

„Eins muss ich Ihnen noch erzählen“, sagte er. „Vor vier Wochen habe ich eine unserer Reinigungskräfte entlassen. Sie war dauernd krank, da ist mir der Kragen geplatzt. Heute begegnete ich ihr in der Stadt. Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Vielleicht habe ich heute Abend begriffen, warum.“

„Lass ihm noch Zeit!“: Gott sagt das auch zu Ihnen, lieber Hörer, liebe Hörerin.

Dass Sie´s ernst nehmen – für sich selbst und für andere,

das wünscht Ihnen

Ihre

Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.

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