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Kirche in WDR 3 | 23.01.2015 | 07:50 Uhr
Alte, geliebte Frau am Fenster
Ich mache einen Spaziergang durch eine süddeutsche Kleinstadt. In der Nähe des Stadtzentrums an einer Ausfallstraße steht ein altes, großes Wohnhaus, Gründerzeit. Es ist trotz seines Alters gut gepflegt. Das Haus ist aufwendig gebaut. Dort haben früher bestimmt mal die „besseren“ Leute gewohnt.
Ich blicke zu den Fenstern. Im Erdgeschoss sind fast alle Rollläden unten, obwohl es mitten am Nachmittag ist. Diese Wohnung sieht irgendwie verlassen aus.
In der zweiten Etage sehe ich eine alte Frau am Fenster stehen. Sie blickt gedankenverloren auf die Straße. Sie sieht mich nicht. Sie stand sicher schon da, bevor ich dort vorbeikam. Und sie wird vielleicht noch dastehen, wenn ich weitergegangen bin. Sie steht da und blickt auf die Straße.
In diesem einen Moment berührt mich plötzlich dieser Anblick, dieser Mensch, der dort am Fenster steht. Und mir kommen viele Fragen: Wer ist diese Frau? Ist sie alleine in dieser Wohnung? Hat sie noch einen Partner, Kinder Enkel? Wartet sie auf jemanden? Oder hat sie gerade jemanden verabschiedet? Wer besucht sie? Wie ist ihr Leben verlaufen? Was haben ihre Augen alles schon gesehen, was haben ihre Hände in ihrem Leben schon angefasst? Was denkt sie, was fühlt sie? Was für schöne Dinge, was für leidvolle Dinge hat sie erlebt?
In Gedanken spreche ich ein kurzes Gebet für diese Frau und segne sie. Dann gehe ich weiter.
Ich muss daran denken, dass auch Gott diese Frau sieht. Und dass er alle diese Fragen beantworten könnte. Und dass er diese Frau mit liebenden Augen ansieht. Genau wie mich und jeden anderen Menschen.
Ich werde an einen Satz erinnert, den Jesus einmal gesagt hat: "Kauft man nicht zwei Spatzen für einen Groschen? Und doch fällt nicht einmal ein Spatz auf die Erde, ohne dass euer Vater es weiß. Bei euch aber ist sogar jedes Haar auf dem Kopf gezählt. Habt also keine Angst: Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Schwarm Spatzen!" (Matthäus 10,29-31 Gute Nachricht Bibel)
Ist das nicht eine ganz wunderbare Aussage über Gott? Gott weiß sozusagen von jedem Haar auf unserem Kopf. Das bedeutet, dass Gott uns kennt, zutiefst kennt. Und damit natürlich alle Geschichten unseres Lebens, alles was wir gesehen, gerochen, gefühlt und angefasst haben. Gott versteht unsere Gedanken und Gefühle. Gott weiß um das Leid, das wir erfahren haben. Und das Glück, das wir erleben durften. Gott kennt uns besser als wir selber.
Das mag uns zunächst auch einmal Angst machen. Denn Gott kennt eben auch unsere dunklen Seiten, meine bösen Gedanken. Gott weiß um meine verletzenden Worte, meine vielleicht schon ganz gut verdrängte böse Tat vor Jahren.
"Habt keine Angst!" Das musste auch Jesus damals sagen! Und anschließen: "Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Schwarm Spatzen!" Ich glaub' ja nicht, dass die Menschen damals besser waren als heute. Trotzdem sagt Jesus ihnen diesen Satz: "Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Schwarm Spatzen!" Das gilt bis heute! Trotz der negativen Seiten liebt Gott die Menschen. Jeder Mensch ist "wertgeschätzt", "wertgeachtet" von Gott. Und es spielt keine Rolle, wer er ist, was er macht oder gemacht hat. Das gibt Kraft fürs Leben. Sich jeden Morgen sagen zu dürfen: "Ich bin Gottes geliebtes Menschenkind. Er schätzt mich."
Es grüßt die geliebten Menschenkinder ein ebenfalls von Gott geliebtes Menschenkind! Ihr Pastor Heddo Knieper aus Herne, gerne!