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Choralandacht | 13.06.2015 | 07:50 Uhr

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Mein erst Gefühl sei Preis und Dank (eg 451)

Autor: Ein Sommermorgen des Jahres 1745. Aus der großen Universitätsstadt Leipzig ist der frischgebackene Herr Privatdozent in sein Heimatdorf Hainichen gereist. Es ist sein 30. Geburtstag - und jetzt sitzt er unter freiem Himmel und schreibt seiner Schwägerin einen Brief:

Sprecher: An keinem Orte in der Welt gefällt es mir besser. Nirgends, Madame, geht die Sonne so schön auf, nirgends sieht der Himmel so blau aus. Glauben Sie mir, dass die Lerchen, die ich jetzt singen höre, weit annehmlicher, weit natürlicher singen, als die um Leipzig. Ich sitze unter den beiden Linden, die mein Vater in dem Jahr meiner Geburt hat setzen lassen, damit sie mit mir aufwachsen sollten. Seid mir gesegnet schattenreiche Bäume!… Jetzt sehe ich meine alte Mutter auf mich zukommen. Die liebe Mutter! Ich will mich an ihrem freundlich frommen Gesichte, an ihren ehrwürdigen weißen Haaren recht satt sehen. Der Anblick meiner Mutter trägt viel zu der Schönheit dieser Gegend bei! Ich wüsste mir keinen glücklichern Tag!

Autor: Christian Fürchtegott Gellert heißt der Briefschreiber. Vor 300 Jahre wurde er geboren. Im Evangelischen Gesangbuch gibt es heute noch sieben Lieder, die er gedichtet hat. Darunter auch ein Morgenchoral, der für mich wie eine Fortsetzung dieses Pracht-Briefs klingt: (0.17)

Sprecherin: Mein erst Gefühl sei Preis und Dank; erheb ihn, meine Seele! Der Herr hört deinen Lobgesang; lobsing ihm, meine Seele!

Musik 1

Autor: Gellerts Morgenlied fängt an wie ein Echo des biblischen Lobgesangs, den die junge werdende Mutter Maria anstimmt:

Sprecherin: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes. Denn er hat große Dinge an mir getan.

Autor: Dass Gott große Dinge an ihm getan hat: dies Gefühl hatte auch Gellert im Blick auf sein Leben. Dass aus ihm etwas geworden war! Aus ihm, der im geliebten Hainichen als eins von dreizehn Kindern in einem äußerst ärmlichen Landpfarrhaus aufwuchs. Aus ihm, der sein Studium wegen finanzieller und gesundheitlicher Probleme nur unter Mühen abschließen konnte. Und doch wurde er in Leipzig der berühmte "Herr Professor Gellert", zu dem die jungen Leute in Massen strömten. Zu ihm, dem Autor wahrer Bestseller: seine Fabeln, seine geistlichen Lieder - sie wurden von allen Schichten geliebt und gelesen, nicht nur von den sogenannten "Gebildeten". Solch großartige Wirksamkeit - und das obwohl er lebenslang kränklich war: immer wieder sprach er von seiner "schwachen Brust"!

Musik 1

Sprecherin (overvoice): Mich selbst zu schützen ohne Macht, lag ich und schlief in Frie-den. Wer schafft die Sicherheit der Nacht und Ruhe für die Müden?

Autor: Wer schützt den Schläfer in der Nacht, wer macht sie zur Kraftquelle? Für Gellert ist die Antwort ganz einfach: der, der ihn in´s Leben gerufen hat, der versorgt ihn auch für jeden neuen Tag mit der nötigen Lebensenergie:

Musik 1

Sprecherin (overvoice): Du bist es, Herr und Gott der Welt, und dein ist unser Leben; du bist es, der es uns erhält, und mir's jetzt neu gegeben.

Autor: Ungekünstelt und direkt dichtet Gellert sein Bekenntnis. So sind alle seine 60 geistli-chen Lieder. 1757 gibt er sie zum ersten Mal als Buch heraus. Sofort wurde es ein großer Erfolg. Wohl gerade wegen der einfachen Sprache. Und: man konnte die Verse sofort singen! Gellert hatte bewusst zu altbekannten Choralmelodien gereimt - hier zu einem viel älteren, heute vergessenen Morgenchoral. Ohne Gellerts Verse wäre die so schön auf- und abschwin-gende Weise vielleicht verloren gegangen. Gellerts geistliche Gedichte waren also von vor-neherein sozusagen "melodiös versorgt". Und doch konnte der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel in seiner Begeisterung nicht anders: schon 11 Monate nach Erscheinen des Buches gab er die 60 Gellert-Gedichte noch einmal heraus - und zu allen hatte er in einem Schaf-fensrausch frische Lieder komponiert. Für Solostimme und Klavierbegleitung! Nein: für den Gemeindegesang ist diese Musik zu virtuos. Also hören wir zu, wie eine Sängerin – so an-nehmlich und so natürlich wie eine Lerche - die 4. Strophe unseres Morgen-Lobs erklingen lässt:

Sprecherin: Gelobet seist du, Gott der Macht, gelobt sei deine Treue, dass ich nach einer sanften Nacht mich dieses Tags erfreue.

Musik 2

Autor: Lerchengesang zu schlichten Versen. Schlicht sind sie, aber nicht harmlos. Gellerts "Geistliche Lieder" erscheinen nicht zufällig zu der Zeit, als der Preußenkönig Friedrich II. im Zentrum des Siebenjährigen Krieges steht. Für Gellert steht der Gott der Macht nicht auf der Seite der kriegstreibenden Mächtigen. Auch hierin folgt er dem Lobgesang der Maria, die ihre Seele ausdrücklich zu dem Gott erhebt, "der da mächtig ist" und von dem sie singen kann: "Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen." Auf stillere und doch auch eindringliche Weise hat Gellert das Lied der werdenden Mutter aufgenommen, als er im Dezember 1760 zu Friedrich II. gerufen wird. Endlich will der den berühmten Herrn Professor kennenlernen. Noch immer ist Krieg - und Gellert wagt es, dem Kriegsherrn bei der Audienz in´s Gesicht zu sagen:

Sprecher: Ich wünsche ruhige Zeiten. Geben Sie uns nur Frieden, Sir… Wenn ich König wäre, so hätten die Deutschen bald Frieden.

Autor: Starke Worte von einem Mann mit "schwacher Brust"! Unter den "Geistlichen Lie-dern" findet sich auch eins, in dem Gellert dazu auffordert, für den Feind zu beten - ja: ihn zu segnen. Wie verrückt muss das dem König vorgekommen sein. Wie schade, dass dies Lied nicht in unserem Gesangbuch steht. Aber das scheinbar harmlose Morgenlied tut es ja auch. In ihm wird Gott als Herr der Welt benannt, als Quelle von Frieden und Ruhe. Dieser Gott der Macht steht den Machtspielen und den Machtspielern gegenüber. Und er steht über ihnen. Deswegen hat es auch etwas zart Aufmüpfiges, wenn dieser Gott um seinen Segen gebeten wird:

Musik 2 (nur instrumental)

Sprecherin (overvoice): Lass deinen Segen auf mir ruhn, mich deine Wege wallen und lehre du mich selber tun nach deinem Wohlgefallen.

Autor: Gellert an seinem 30. Geburtstag auf Besuch in seinem geliebten Heimatdorf - unter den Linden, die sein Vater zu seiner Geburt gepflanzt hatte. Wie wird er da wohl Gottes Segen auf sich ruhen gefühlt haben! Dazu Sonnenaufgang und Lerchengesang und das Angesicht seiner Mutter: was für ein starkmachendes Wohlgefallen wird da sein Herz ergriffen haben! Und dann konnte Gellert den Weg zurück nach Leipzig wallen und nach Gottes Wohlgefallen handeln. Als treuer Freund der jungen Leute, die nicht nur in den Vorlesungen an seinen Lippen hingen, sondern denen er auch unter vier Augen in ihren Sorgen ein guter Zuhörer war. Als ein Mensch, der den empfangenen Segen weiterzugeben wusste. Vielleicht sogar auch einmal an einen Gegner. Oder ein mächtiger König kriegt den Segen in Form eines schönen Wider-Worts auf sein Haupt gelegt. Wenn es bei Gellert funktioniert hat, dann könnte es auch für uns einen Versuch wert sein - heute, an diesem Samstagmorgen: einfach vor die Haustür treten und sehen, wie weit es bis zur nächsten Linde ist. Vielleicht sitzt sogar eine Lerche drin…

Musik 1: Lass deinen Segen auf mir ruhn, mich deine Wege wallen und lehre du mich selber tun nach deinem Wohlgefallen.

Musikinformation:

Musik 1:

CD:Wach auf, mein Herz, und Singe

Titel: Mein erst Gefühl sei Preis und Dank

Text: Christian Fürchtegott Gellert

Komponist: Michael Praetorius

Chor: Wilhelmshavener Vokalensemble

Leitung: Ralf Popken

Verlag: Hansisches Druck- und Verlagshaus

Label: edition chrismon

LC-Nr.: 16005

Musik 2:

CD: Carl Philipp Emanuel Bach: Herrn Professor Gellerts Geistliche Oden

und Lieder

Interpret: Dorothee Mields (Sopran), Ludger Rmy (Fortepiano)

Komponist: Carl Philipp Emanuel Bach

Texter: Christian Fürchtegott Gellert

Dauer: 1:48

Verlag:classic production osnabrück

Label: cpo

Labelcode: 08492

Bestellnummer: 777 061-2

Verwandte Zitate aus:

Christian Fürchtegott Gellert: Die Fahrt auf der Landkutsche. Dichtungen, Schriften, Le-benszeugnisse. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Wolfgang Becker. Wies-baden (Fourier Verlag) o.J.

Besonders aufschlussreich war für mich weiterhin:

Bernd Witte: Christian Fürchtegott Gellert. Schriftsteller und Universitätslehrer in Sachsens goldenem Zeitalter. In: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften / Heft 4 (2010), S. 30–49. Im Internet unter http://denkstroeme.de/heft-4/s_30-49_witte

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