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Kirche in WDR 3 | 21.09.2015 | 07:50 Uhr
Von Gottes Gegenwart
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer!
Vor kurzem besuchte mich ein Mädchen aus der Nachbarschaft. Es kommt
ab und zu bei mir vorbei, um sich Bücher auszuleihen.
Diesmal blieb es lange an meinem Schreibtisch stehen und sah sich eine Postkarte an. Sie zeigt ein Gemälde aus der Schule des holländischen Malers Rembrandt. Darauf ist das Gesicht Jesu zu sehen. Jesus hat lange, dunkle Locken, einen Bart und trägt ein dunkelbraunes Gewand. Sein Blick ist nachdenklich und aufmerksam.
Ich kenne das Bild gut, sagte das Mädchen und tippte auf den Holzrahmen,
es ist in meiner Kinderbibel.
Plötzlich drehte es sich zu mir um und fragte: Wo hast du eigentlich Gott kennengelernt?
Ich stutzte. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet.
Ja, wo habe ich Gott kennen gelernt?
Ich glaube, sagte ich zu dem Mädchen, das war nach meiner Schulzeit, als ich
anfing, nach Gott zu suchen. Und ich erinnere mich, dass ich Gott in einer
Kapelle besonders gespürt habe.
Längst ist das Mädchen wieder nach Hause gelaufen.
Doch seine Frage bleibt in meinem Haus:
Wo hast du eigentlich Gott kennen gelernt?
Habe ich Gott überhaupt kennen gelernt?
Nein, muss ich ehrlich antworten, ich habe Gott nicht kennen gelernt.
Nicht wie ein reales Gegenüber, wie einen Menschen.
Eher in verschiedenen Situationen als Ahnung, als letzten Halt bei
Fragen nach dem Warum und Wozu, als tiefen Sinn meines Daseins.
Und ich spüre in meinem Leben, dass Gott mich nicht in Ruhe lässt.
Selbst dann nicht, wenn mich weltweite Ereignisse und persönliche Schicksalsschläge an Gott fast verzweifeln lassen.
Jesus kannte Gott vollkommen und lebte sein Leben mit Gott.
Er fühlte zunehmend Gottes Liebe in sich, in jedem Menschen, in der gesamten Schöpfung. Auch, wenn Jesus darunter litt, dass seine Mitmenschen, seine Jünger,
seine eigenen Verwandten seine Botschaft nicht verstanden.
Er weinte über den Verlust eines Freundes, er rang mit Gott, bevor er verhaftet
und zum Tod am Kreuz verurteilt wurde.
Jesu Leben durchzieht ein vertrauensvolles Festhalten an Gottes Gegenwart.
Unter allen Umständen.
Vielleicht habe ich Gott am ehesten durch Jesus kennen gelernt.
Zum einen durch das friedvolle Auftreten Jesu. Durch seine liebevolle Art,
jeden einzelnen Menschen ernst zu nehmen und zu respektieren.
Vor allem aber durch seine Unerschrockenheit,sein Leben mit allen Begebenheiten und Begegnungen mit Gott in Beziehung zu bringen.
Jesus lebte die Botschaft Gottes an uns Menschen: Ich steh Dir zur Seite und
bringe Dir Leben, - auch über Deinen Tod hinaus.
Du bist mir persönlich wichtig. Jetzt und Hier.
Ein paar Wochen später besuchte mich wieder das Mädchen aus der
Nachbarschaft. Diesmal brachte es eine Holzkiste mit. Darin befanden
sich seine Schätze: Steine, Federn und kleine Bilder.
Das Mädchen zeigte mir staunend jeden einzelnen Gegenstand.
Ich erinnerte mich an seine Frage: Wo hast du eigentlich Gott
kennen gelernt? Alles seitdem Gedachte fiel mir ein. Kluge Antworten
über Gottes erfahrbares Dasein für uns Menschen gingen mir durch den
Kopf. Ich hätte so viel sagen können. Doch auf einmal musste ich lächeln.
Gerade jetzt und hier war Gottes lebendige Gegenwart spürbar: In diesem
kleinen Menschen mit seiner Schatzkiste auf dem Sofa.
Aus Coesfeld grüßt Sie Petra Fietzek.
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