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Kirche in WDR 3 | 26.11.2015 | 07:50 Uhr
Tauschgeschäfte
Die Beine vor mir treten ganz gemächlich in die Pedale. Na, geht auch nicht anders bei dem engen, kurzen Rock, denke ich. Aber wenn man schon so was trägt, könnte man sich doch wenigstens die Beine rasieren.
Eigentlich bin ich da nicht so. Aber dieser haarige Anblick! Hinten auf dem Rücken, auf ihrem rosafarbenen T-Shirt fallen mir Buchstaben ins Auge: „Tausche Niere gegen Geschlechtsumwandlung“. Jetzt wird mir einiges klar… Ich überhole die Beine eines männlichen Körpers und bleibe in Gedanken hinter ihm. Oder ihr, oder… „Tausche Niere gegen Geschlechtsumwandlung.“
Was muss das für eine Verzweiflung sein, dass man einen Teil seines Körpers opfern würde, um sich endlich ganz oder richtig zu fühlen. Dieses Tauschgeschäft, das da angeboten wird, geht mir an die Nieren. Ein Leben gegen ein Leben. Ein Leben ohne ständige Dialyse und Todesangst für ein Leben im „richtigen“ Körper. Zwei große Operationen, aber auch zwei Menschen mit mehr Lebensqualität, oder? Ein solcher Handel ist aus guten Gründen verboten. Er wäre auch in jede Richtung zutiefst ungerecht: Da würde einer aus Geldmangel ein Organ verkaufen. Andere hätten keine Chance an so ein Organ zu kommen, weil sie kein Geld haben, es zu kaufen. Der Satz „Tausche Niere gegen Geschlechtsumwandlung“ ist aus dieser Sicht ein höchst problematischer Satz. Aber ich weiß, wie groß der Wunsch nach Überleben ist. Nach Leben, so wie man eigentlich leben will. Was Menschen nicht alles auf sich nehmen für Leben in einem Körper, der ihrem Bild von sich entspricht. Diäten, Fitnessprogramme, Schönheitsoperationen, oder eben: „Tausche Niere gegen Geschlechtsumwandlung.“ Was ist das für eine Welt, in der man Geschlechtsteile angleichen kann, aber nicht jeder das richtige Gutachten, nicht jede die richtige Prognose oder genügend Geld dafür hat! Es ist eine Welt, in der es mehr medizinischen Fortschritt gibt, als wir als Gesellschaft oder Einzelne nutzen wollen und können. Das muss kaum auszuhalten sein, wenn es einen selber trifft.
Ich kann nur leise sagen, in was für einer Welt ich leben möchte. Ich kann mich nur erinnern, was für ein schwerer Weg das für mich war, mit meinem Körper und seinen Begrenzungen zu leben. Ich habe nur eine Ahnung davon, wie das ist, wenn der eigene Körper einem im Weg steht, im Leben und in der Liebe. Jahrelang hatte ich sehr starke Neurodermitis. Auch die Lippen waren betroffen. Das sah man und den Liebsten küssen – ging nicht. Natürlich habe ich mir da einen anderen Körper gewünscht. Und erst mit viel Zeit, einigen Behandlungen, unzähligen Cremes und viel Liebe war ich so weit zu sagen: „Du, Gott, hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ (Psalm 139,13f).
Ich möchte in einer Welt leben, in der alle Menschen so etwas von sich sagen lernen. Mit viel Zeit, Unterstützung und Zuwendung. Weil Menschen sich nicht verstecken müssen, wenn ihnen als Frau ein Bart wächst oder sie mit ihren Männerbeinen gern kurze, enge Röcke tragen. Ich möchte in einer Welt leben, in der Menschen leben können, wie sie sind, freiwillig oder ungewollt. Weil wir nicht den Bildern der anderen gleichen sollen, sondern uns selbst und damit Gott.
Im Schöpfungsbericht der hebräischen Bibel steht wörtlich, dass Gott den Menschen weiblich und männlich schuf, aber was das körperlich und charakterlich bedeutet, steht da nicht. Und ich bin froh darüber. Die Zuschreibungen an die Geschlechter kommen zwar schon ein paar Verse später, aber am Ende der Bibel geraten sie bei Paulus‘ schon wieder stark ins Wackeln. „Da ist nicht männlich, noch weiblich“, heißt es beim Apostel Paulus. Das sind keine Kategorien die zählen auf Erden und im Himmel erst recht nicht. Das Leben und unsere Körper sind nun einmal eine wackelige Geschichte, aber auch eine wunderbare.
Ich hoffe, dass wir uns das nicht durch verlockende Tauschgeschäfte verdunkeln lassen, sondern gegenseitig durch Ermutigung erhellen.
Machen Sie doch heute mal jemandem ein Kompliment für etwas total Ungewöhnliches, meint Pfarrerin Katrin Berger aus Levern.