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Kirche in WDR 3 | 07.05.2016 | 07:50 Uhr
Lange Liebe und alte Tassen
Guten Morgen!
Für die alten Japaner ist alles, was neu ist und glänzt, wertlos und vulgär. Eine neue Tasse gilt als grauenhaft. Eine angeschlagene Tasse dagegen ist vom Gebrauch geadelt und bereichert. Sie sagen: Wenn die Tasse vom vielen Tee innen dunkel geworden ist, dann hat sie mit uns gelebt. Wir haben sie genutzt, gespült, ihr Aufmerksamkeit geschenkt. Und mit der Zeit hat sie unsere Stimmungen und Empfindungen aufgeladen und mit ihren Diensten „vergoldet“. Eine solche Tasse hat im alten Japan einen hohen Wert!
Am heutigen Samstag treten sicherlich wieder in vielen Kirchen junge Paare vor den Traualtar um sich das Ja-Wort zu geben und einander die Liebe in guten und in bösen Tagen zu versprechen. „Bis dass der Tod uns scheidet“, werden sie sagen und auf eine Partnerschaft hoffen, die durch das „Dick und Dünn“ des Lebens trägt und hält.
Was ist wohl das Geheimnis einer langen Partnerschaft oder einer langen Freundschaft? Die Schriftstellerin Susanna Tamaro nähert sich diesem Geheimnis über die Wertschätzung alter Tassen in Japan an. Sie schreibt:
Sprecherin:
„Eine lange Freundschaft trägt die gleichen Spuren wie eine im Lauf der Zeit schwarz gewordene Tasse; die Alltagsgegenstände weisen Risse und Schatten auf, genau wie es in Freundschaften manchmal Risse und Schatten gibt. … Um eine Tasse nicht wegzuwerfen, und das gilt ebenso für eine Freundschaft, braucht man zwei inzwischen ungewöhnliche, aber sehr wichtige Eigenschaften: Geduld und Treue. Geduld bewahrt vor der Hetze und Treue vor Konsum“.
Ich mag diesen Vergleich mit den Tassen. Susanna Tamaro meint doch: Treue bewahrt also davor, einfach zu nehmen, zu benutzen und wegzuwerfen, wenn es nicht mehr passt.
Wenn heute in vielen Kirchen die Brautpaare Ihre Hochzeit feiern, wählen sie als Lesungstext oft eine Passage aus dem ersten Korintherbrief: „ Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig, … Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles. Die Liebe hört niemals auf.“ Diese Sätze, die Paulus da schreibt, gehören zu den berühmtesten Sätzen der Bibel.
Und wenn Paulus hier von der Liebe spricht, meint er wohl nicht die Schmetterlingsgefühle im Bauch, sondern er weist auf eine andere Qualität hin, auf die Qualität der „langen Freundschaft“, in der man bleibt, auch wenn es schwer wird und Schmetterlinge längst verflogen sind.
Von meinem Bürofenster aus kann ich auf die Kölner Domplatte schauen. Auf die Achse von Hohe Straße zum Hauptbahnhof, auf der sich täglich tausende von Menschen bewegen. Da laufen auch viele Pärchen herum, junge, alte. Und ab und zu sehe ich auch sehr alte Paare. Eine rüstige Seniorin schiebt langsam aber energisch den Rollstuhl ihres Partners und kämpft sich durch das Getümmel. Ein solches Bild berührt mich, weil sich da Menschen echt und ein Leben lang unterstützen. Mir imponiert das, wie diese Alten sich gegenseitig stärken.
In einem Haiku, einer traditionellen japanischen Gedichtform, habe ich gelesen:
Damals blickten wir in die gleiche Richtung. Jetzt Rücken an Rücken.
Eine solche Erfahrung von Rückenstärkung und langer Freundschaft wünscht Ihnen
Irmgard Conin aus Köln