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Kirche in WDR 3 | 10.01.2017 | 07:50 Uhr
Säkularisiert
Guten Morgen!
Säkularisiert sei es hier, hatte man mir gesagt. Und das im „schwarzen“ Münster! Meine neue Pfarrei in Münsters urbanem Kreuzviertel sei säkularisiert. Das Wort kommt von „saeculum“, Zeitalter. Gemeint ist die Verweltlichung einer Gesellschaft. Oder besser, die Entkirchlichung. Die Welt hat sich selbstständig gemacht, die Kirche ist nicht mehr am Steuerruder der Gesellschaft. Sie wird vielmehr als einer von vielen Anbietern gesehen – für Sozialleistungen und Rituale; als Servicestation in Sachen Sinn.
Viele bedauern das. Für mich war es eine Umstellung: Vorher war ich Pfarrer im ländlichen Raum; fast alles, was dort irgendwie sozial war, das befand sich in kirchlicher Trägerschaft. Auch wenn die Kirchen am Sonntag nicht voll waren, so hatte die Kirche doch Einfluss. Oder besser gesagt: Die Christen vor Ort hatten viele Gestaltungsmöglichkeiten.
Jetzt, als Stadt-Pfarrer in Münster, muss ich mich dem Thema neu stellen. Was ist besser: Die Entkirchlichung der Welt – oder die Entweltlichung der Kirche? Anders gefragt: Soll die Welt die Kirche aus dem öffentlichen Leben vertreiben, oder soll sich die Kirche von der Welt verabschieden, damit sie unterscheidbarer bleibt? Ich finde beides nicht gut. Vielmehr glaube ich: Christen leben in einer Spannung von Offenheit und Identität. Sie müssen sich der modernen Welt öffnen, sonst sind sie am Ende nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten, ja letztlich eine Sekte. Zugleich brauchen sie eine starke Identität, eine hohe Verbindlichkeit und Treue. Offenheit und Identität – in dieser Spannung erlebe ich mein Christsein. Und meine neue Pfarrei.
Säkularisiert – davor habe ich deshalb überhaupt keine Angst. Denn eigentlich haben wir doch genau das gerade erst gefeiert. Vor drei Wochen – an Weihnachten! Denn an Weihnachten geht es ja gar nicht um fromme Stimmung. Sondern um die Welt. Um diese ganz konkrete, weltliche Welt. Gott hat sich sozusagen selbst säkularisiert. Sein Sohn ist Mensch geworden, einer von uns.
Das bedeutet: Gott liebt die Welt. Er liebt seine Welt so sehr wie seinen eigenen Sohn. Deshalb möchte auch ich die Welt lieben. Ich möchte mich da nicht heraushalten, mich nicht in die fromme Nische zurückziehen. Sondern mitmischen. Es mag sein – die Kirche ist nicht mehr am Steuerruder der Gesellschaft. Aber sie darf mit am Tisch sitzen, wenn Gutes geschieht. Nicht in Abgrenzung zur Welt, sondern mittendrin.
Deshalb gehören Gott und Welt ein für allemal zusammen. Seit Weihnachten weiß ich, was ich Gott wert bin: seinen einzigen Sohn! Die Welt ist Gottes einzige Sorge, sein einziges Thema. Und deshalb soll sie auch mein Thema sein. Gott sendet mich zu den Menschen heute – so wie er damals Jesus in die Welt gesandt hat.
Er soll nicht bloß Lückenbüßer sein, wenn’s mir schlecht geht, wenn ich traurig bin oder ein Familienfest ansteht. Gott ist der Herr meines ganzen Lebens! Er ist geradezu diesseitig; also darf ich ihn nicht wieder ins Jenseits befördern. Er will einer von uns sein; also darf ich ihn nicht mehr in den Himmel verbannen. Er geht mit uns auf Tuchfühlung; also darf ich ihn mir nicht vom Leibe halten.
Gott sandte seinen Sohn, um sich kräftig einzumischen in der Welt. Die Geburt im Stall von Bethlehem – da hat Gottes Sohn schon den letzten Platz gewählt. Später, als er zu predigen begann, da kam er mit Forderungen: „Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium!“ Und er kam mit Herausforderungen: „Du aber, folge mir nach!“ Er rüttelte auf, beunruhigte, stellte in Frage, stellte die Welt auf den Kopf.
Sich einmischen, irgendwo mitmachen. Identisch nach innen, nach außen offen. Mit dem Gesicht zur Welt und mit ganzem Herzen bei Gott: Wenn das säkularisiert ist, dann bin ich es gern. Mit den Menschen in und außerhalb meiner Pfarrei. Damit die Welt um mich herum ein kleines bisschen besser wird.
Das jedenfalls hofft Pfarrer Stefan Jürgens aus Münster.
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