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Choralandacht | 18.02.2017 | 07:50 Uhr

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Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (eg 193)

Musik 1: Bläservorspiel

Autor: Manchmal passiert es. Da werde ich im Gottesdienst zum Mitsingen des nächsten Liedes eingeladen. Ich schlage das Gesangbuch auf, lese während des Vorspiels die ersten Textzeilen – und es überfällt mich ein Unbehagen. Das soll ich jetzt singen? Kann ich das? Will ich das?

Musik 2 (Choral, 1. Strophe)

Sprecherin: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steure deiner Feinde Mord…“

Autor: „‘Mord‘ ist nicht gerade ein Wort, das man im Gesangbuch erwartet,“ (1) heißt es in der Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Aber: wie kommt es da rein; was soll das bedeu-ten? Wer schreibt das? Warum? Auf den ersten Blick irritiert dieser Liedanfang. Mich macht er auch neugierig. Ich wollte den Hintergrund verstehen. Darum schaute ich genauer hin. Am Fuß des Liedes die Quellenangabe: Text und Musik stammen aus dem Jahr 1543. Die Melodie gilt als Variation eines alten lateinischen Hymnus aus dem 4. Jahrhundert. Urheber unseres Chorals ist Martin Luther. Ich ahtne, dass mir in diesem Lied ein Hilfeschrei des Reformators begegnet, der nicht nur sein Werk in größter Bedrohung sah, sondern das Leben in Deutschland und den Glauben insgesamt. Denn im Originaltext heißt es ganz deutlich:

Sprecherin: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steur des Papsts und Türken Mord, die Jesum Christum, deinen Sohn, wollen stürzen von deinem Thron“.

Autor: Andreas Marti schreibt in der „Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch“ zu dem Choral:

Sprecher: „Luther nennt die beiden ‚Erzfeinde Christi‘ in einer für unsere Ohren geradezu anstößigen Konkretheit beim Namen und hat dabei eine ebenso konkrete Bedrohung im Blick. Nachdem bereits 1529 ein türkisches Heer bis vor Wien gezogen war, stieg im Jahr 1541 die Gefahr türkischer Expansion in Richtung Mitteleuropa wieder stark an. Ein österreichisches Heer erlitt in Ungarn eine schwere Niederlage. Auch von Seiten des Papstes stieg die Kriegsgefahr; die reformatorische Bewegung sollte offenbar mit militärischen Mitteln beseitigt oder wenigstens eingedämmt werden“. (2)

Autor: Heute vor 471 Jahren, am 18. Februar 1546, ist Martin Luther in seiner Heimatstadt Eis-leben gestorben. Den Choral „Erhalt uns Herr, bei deinem Wort“ schreibt er drei Jahre vor sei-nem Tod. Als Untertitel schreibt Luther: „Ein Kinderlied, zu singen wider die beiden Erzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Papst und Türken.“ (3) In zwölf Zeilen formuliert er ein einfaches Gebet, wie Kinder es sprechen können. Fast wie ein Stammeln der physisch Schwächsten klingt das Flehen um Gottes Schutz gegen die Macht der äußerlich Stärksten. Rette uns, Gott. Steure die drohende Gefahr an uns vorbei. Verhindere den Mord an uns. „Gibt es einen größeren Gegensatz zur militärischen Gewalt als ein Kindergebet?“ (4), so Andreas Marti in seinem Kommentar.

Musik 3 (Choral):

Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort und steur des Papsts und Türken Mord,…

Autor: Allerdings ist kein Kirchenlied von der ersten Veröffentlichung an so missverstanden worden, wie dieses. Die Anhänger Luthers sangen es ebenso überzeugt, wie es seine Gegner als skandalös bekämpften. Der Text wurde umformuliert, gekürzt, erweitert. Kein Lutherlied er-fuhr so viele Veränderungen wie dieses. In katholischen Regionen wurde es zum meistverfolgten evangelischen Gesang – und zur Zielscheibe beißender Ironie. Die Sammlung „Sechs schöne katholische Lieder“ von 1586 enthält zwei Textvarianten:

Sprecherin: „ Erhalt uns, Herr, bei deiner Wurst, nach gutem Wein uns allzeit Durst, den trinken wir uns seyns guths muts, sauffen, fressen und thun nichts guts“.

Autor: So spotteten Katholiken auf dem Hintergrund der gottesdienstlichen Umbrüche in der Reformationszeit. Denn während es in den katholischen Kirchen den Geistlichen vorbehalten blieb, den Wein als das gewandelte Blut Christi in der Eucharistie zu trinken, gehörte zum Selbstverständnis der jungen evangelischen Kirche, auch Laien den Kelch mit Wein zu reichen. Polemisch wurde dem „feisten“ Doktor Luther vorgeworfen, seinen Anhängern gehe es bei der Feier des Mahles weniger um das Gedenken an den Tod Christi, als um eine „Wirtshausat-mosphäre“ mit Völlerei und Alkoholexzess.

Eine andere Textvariante lautete:

Sprecherin: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, den Ketzern wehr, die Türken mord, die Christum und die Kirchen schon wollen stürzen von ihrem Thron“.

Autor: Mit Liedern zu kämpfen, spielte im ausgehenden Mittelalter eine große Rolle. Die Mehr-heit der Bevölkerung konnte weder lesen noch schreiben. Luther aber hatte früh entdeckt, dass sich populäre Melodien bestens eigneten, seine Gedanken unter die Leute zu bringen. Seine Lieder wurden auf Marktplätzen öffentlich gesungen. Sie gingen von Mund zu Mund. Allerdings haben andere seine Entdeckung aufgegriffen, um sie nun gegen ihn zu verwenden.

Musik 2 (Choral, Strophe 2)

Sprecherin: Beweis dein Macht, Herr Jesus Christ, der du Herrn aller Herren bist, be-schirm dein arme Christenheit, dass sie dich lob in Ewigkeit.

Autor: Ein Blick in die Geschichtsbücher aber zeigt, dass Luther und das evangelische Lager die eigene Situation für viel zu bedrohlich hielten, um sich in einem Liederstreit zu verlieren. Im September 1541 hatte Kurfürst Johann Friedrich die Reformatoren Luther und Bugenhagen be-auftragt, den Predigern zu befehlen:

Sprecher: „dass sie das Volk in allen Predigten zu dem Gebete obberührter Türken von der bevorstehenden Not und tyrannischer Handlungen halber mit höchstem Ernst woll-ten ermahnen“(5).

Autor: Aus diesem Grund ließ Luther bereits im Oktober 1541 seine „Vermahnung zum Gebet wider die Türken“ (6) in Druck gehen. Denn im Vormarsch der Türken und der sich festigenden Papstkirche sah er „Zeichen des apokalyptischen Endzeitkampfes“ (7). Die daraus folgende Be-drohung führte er „auf die Missachtung des Wortes Gottes“ (8) zurück. Das schöpferische, das befreiende Wort aber ist ein Schlüsselbegriff der Reformation. Denn das Wort gilt als „erstes und einziges Kommunikationsmittel zwischen Gott und Mensch“ (9).

Darum: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“: Rettung sieht Luther allein im Bleiben an, allein im Vertrauen auf Gottes Wort. Ihm steht das grenzenlose Vertrauen von Kindern vor Augen, als er diesen Choraltext schreibt, der die eigene Ohnmacht kennt und sich Hilfe allein von Gott erhofft. Heute, am 471. Todestag Luthers, erinnere ich mich an die Not jener Tage und bitte Gott darum, dass wir auch in Zukunft frei von solcher Bedrohung leben können.

Musik 2 (Choral, Strophe 3)

Sprecherin: Gott heilger Geist, du Tröster wert, gib dei’m Volk einrlei Sinn auf Erd. Bleib bei uns in der letzten Not. G’leit uns ins Leben aus dem Tod

Anmerkungen:

(1) Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, im Auftrag der EKD, Göttingen 2015, zu EG 193 von Andreas Marti (21)4

(2) Ebd.

(3) Martin Luther Werke V, Insel –Verlag, Frankfurt/M, 1983 ², S. 275

(4) Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, im Auftrag der EKD, Göttingen 2015, zu EG 193 von Andreas Marti (21)4

(5) Handbuch der Lutherlieder, Otto Schlißke, Göttingen 1948, S. 126 f

(6) Ebd. S. 127

(7) Martin Luther, Heinz Schilling, München 2016, S. 591

(8) Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, im Auftrag der EKD, Göttingen 2015, zu EG 193 von Andreas Marti (21)5

(9) Ebd.

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