Beiträge auf: wdr3
Kirche in WDR 3 | 14.02.2014 | 07:50 Uhr
Lernend
Paul und Hanna sind ein besonderes Liebespaar. Nicht verheiratet. Obwohl die beiden schon viele Jahre zusammen sind. Hanna hat keine Lust auf Hochzeit, zu bürgerlich. Bekannte fragen sich, wie ernst es den beiden eigentlich ist. Sie gehen ja auch ihre eigenen Wege. Aber sie bleiben beieinander. Kurz vor der Rente wird Paul schwer krank. Pflegefall. Hanna tut alles, damit er zuhause bleiben kann. Eines Tages geht’s nicht mehr. Demenz. Paul weiß nicht mehr, was er tut. Und seine Hanna erkennt er nicht mehr.
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
Traurig klingt diese Geschichte. Aber für mich ist sie wunderbar am heutigen Valentinstag. Sie hat mich angerührt, als ich Hanna kennen lerne. Was für eine Liebe! Wie sie von der Pflege ihres Lebensgefährten erzählt. Ein Liebesakt, voller Intimität und Dichte. Die Liebe hört auch nicht auf, als Paul sie nicht mehr erkennt. Wenn Hanna ihn besucht, spielt sie auf dem Klavier seine Lieblingsmusik. Die erkennt er. Und dann singt er dazu.
Mich hat diese Liebesgeschichte tief beeindruckt – und beschämt. Wir predigen in unserer Kirche viel von der Liebe. Zuweilen wird sie bei uns mit ganz viel Glaube und Moral aufgeladen. Mann und Frau müssen verheiratet sein, lebenslang treu. Sie sollen sich an eine ganze Reihe von Regeln halten. Wem das nicht gelingt, der riskiert Probleme. Wer beispielsweise zum zweiten Mal heiraten will, riskiert seinen Job, wenn er bei uns arbeitet. Und auch, wer gar nicht heiraten will und trotzdem als Paar zusammenlebt. Inzwischen verstehen das auch die meisten Katholiken in unserem Land nicht mehr. Das ergab eine Befragung zu diesen und anderen Themen, die Papst Franziskus Ende des letzten Jahres weltweit angestoßen hatte. Viele wünschen sich, dass sich Haltungen und Auffassungen in unserer Kirche weiterentwickeln – und dabei die konkreten Menschen und ihre Geschichten berücksichtigen.
Von Paul und Hanna und ihrer Geschichte lerne ich, dass Liebe mehr ist als das, was moralische Regeln und Gesetze aussagen können. Ich lerne, vorsichtig zu sein im Urteilen: Die Liebe ist ein Geheimnis, das nur denen gehört, die sich lieben – und denen sie davon etwas zeigen wollen. Niemand hat das Recht, über die Liebe von Menschen zu urteilen.
Im Zukunftsbild der katholischen Kirche im Bistum Essen lautet eines der sieben Leitworte „lernend“. Manchmal erweckt unsere Kirche den Eindruck, als wisse sie alles. Auch einzelne Christen glauben oft, den richtigen Standpunkt schon klar zu haben. Wer ins Leben der Menschen hinein schaut, der merkt schnell: So einfach ist das nicht. Deshalb fragt Papst Franziskus auch sehr genau nach, wie die Menschen in aller Welt eigentlich denken über die Liebe und das Leben in Beziehungen, in der Familie. Vielleicht erfährt er dadurch auch von Lebens- und Liebesgeschichten wie der von Paul und Hanna. Das ist wichtig – denn das, was die Kirche sagt und lehrt, muss mit dem Leben konkreter Menschen zu tun haben.
Dietrich Bonhoeffer hat vor über 70 Jahren provozierend gesagt: „Die Kirche darf keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern nur Gebote, die heute wahr sind. Denn ‚was immer’ wahr ist, ist gerade ‚heute’ nicht wahr: Gott ist uns ‚immer’ gerade ‚heute’ Gott.“ Das ist auch heute noch ein neues und ungewohntes Denken in unseren Kirchen. Es braucht Zeit und kostet Auseinandersetzung – aber so ist das, wenn man ein lernender Mensch und eine lernende Kirche sein will.
Dass Sie liebe Hörerinnen und Hörer heute für sich etwas Neues entdecken und von den Menschen lernen, denen Sie begegnen werden, das wünscht Ihnen Generalvikar Klaus Pfeffer aus Essen.
DBW 11, 332