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Kirche in WDR 3 | 07.09.2017 | 07:50 Uhr
EINHÖRNER
Guten Morgen!
Einhörner – die gibt es nicht, aber sie sind überall zu sehen. Also diese Fabelwesen finden sich auf Tassen, Mützen, Kleidung und ungezählten anderen Alltagsgegenständen. Ich habe sie nicht nur auf Kinderartikeln gesehen, sondern auch in der Erwachsenenwelt. Eine ganze Gruppe Motorradfahrer fuhr an mir vorbei und alle trugen Einhornrucksäcke. Und in den USA kann man sogar einen Einhorn-Frappuccino kaufen, das ist ein Getränk aus gefrorenem Milchshake und einem Cappuccino.
Ist das nur eine Mode oder warum breitet sich eine solche Figur aus der Fabelwelt so aus?
Forscher haben herausgefunden, dass eine Gesellschaft dann in Fantasiewelten mit Fabelwesen flüchtet, wenn die reale Welt sehr unsicher geworden ist.
Ja, klar, das leuchtet mir ein: Terroranschläge, die sogar unsere Städte nicht verschonen, ein neuer amerikanischer Präsident, der unberechenbare Politik macht, Parteien, die Fremdenfeindlichkeit schüren. Das Sicherheitsgefühl vieler Menschen in unserem Land ist massiv gestört. Dort aber, wo Verunsicherung um sich greift, ist Realitätsflucht eine Möglichkeit, mit der Situation umzugehen.
Ich weiß zwar nicht, ob der Einhorn-Boom ein Ausdruck solcher Fluchtwelle aus dieser realen Welt in eine Fantasiewelt ist, aber Menschen flüchten in rosa Traumwelten, weil sie sich ohnmächtig fühlen. Die Medienpsychologie spricht hier vom „Eskapismus“: Menschen fliehen in eine Rolle, weil sie dem Druck der Wirklichkeit nicht mehr standhalten. Früher hätte man auf die Not von solch einen Druck reagiert mit dem Hinweis:
„Not lehrt beten!“ Nur greift das heute kaum noch.
Mit dem Gebet können viele Menschen, die ich spreche, nichts mehr anfangen. Auch in der Not und unter Druck nicht mehr. Ich finde den Satz auch unangemessen, unterstellt er doch, dass es nur einen wahren Grund für das Gebet gibt: die Notlage.
Was also tun? Mich in eine Traumwelt retten? Einfach abwarten?
Ich habe für mich den Satz „Not lehrt beten“ einfach einmal verändert in „Beten tut Not“. Damit lege ich den Focus auf das Gebet. Und wenn ich dann bete, ist es nicht die Reaktion auf den Druck, sondern ich werde selbst aktiv.
Damit verändert sich meine Haltung zu den Dingen: Ich halte sie Gott hin, ich gebe von dem, was ich nicht kann, ab. Das erfordert allerdings Vertrauen.
Wie das geht? Vertrauen hat für mich mit Loslassen zu tun: Ich lasse die Dinge los, die mich überfordern, die ich nicht kann. Ich überlasse mich damit einem anderen, nämlich Gott. Vor ihm, brauche ich nichts ausblenden, wegdrücken, da muss ich nicht fliehen in eine Traumwelt. Ich darf alles und jedes beim Namen nennen, so wie es ist, wie ich es sehe.
Mit dem Gebet gebe ich mich nicht in eine abgeschottete Fabelwelt. Ich richte mich aus auf Gott und die Welt, in der ich eine aktive Rolle spielen darf.
Aus Gladbeck grüßt Sie Meike Wagener-Esser.