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Kirche in WDR 3 | 06.08.2018 | 07:50 Uhr

Am Rande der Nächstenliebe

„Manche Leute kann man nur am Rande der Nächstenliebe ertragen!“ Dies ist ein Stoßseufzer, den meine Mutter oft ausstößt. Und ich schmunzle dann immer, denn sie hat Recht. Ich bin froh, dass ich keine Feinde in meinem Leben habe. Aber auch ich kenne Menschen, die es mir bisweilen schwer machen und manchmal den Alltag versauern.

Wie ist das aber denn nun mit der Nächstenliebe? So ganz alltäglich? Wie geht das mit diesem zentralen Wert des Christentums? Muss ich ein Heiliger sein, um es zu schaffen, meine Nächsten zu lieben?

Wie kann das gehen? Jeder weiß: Gefühle kann man nicht befehlen. Wie aber kann dann Liebe ein Gebot sein? Das ist schon ein Widerspruch in sich. Liebe ist eine überwältigende Erfahrung, ein Geschenk, aber nicht das Ergebnis angestrengten Wollens.

Als Alttestamentler schaue ich bei so einer Vertracktheit gerne zunächst in den biblischen Urtext. Und das heißt: Ich schaue in die Tradition, aus der auch Jesus seine Gedanken speiste. Das mit der Nächstenliebe fiel bei ihm nicht vom Himmel, es stand schon in der Bibel. Genauer im Buch Levitikus. Und siehe: Die Formulierung „liebe deinen Nächsten“ lädt zum Missverständnis ein. Der hebräische Urtext zielt nämlich in eine ganz andere Richtung. Im Deutschen dominiert bei der Liebe der emotionale Aspekt. Liebe hat viel mit Zuneigung, mit Sympathie zu tun, zuweilen kann das Gefühl so stark sein, dass es mich überwältigt und hinwegspült. Ein solches Gefühl kann nicht auf Knopfdruck befohlen werden.

Aber: In der Sprache der Bibel sieht das etwas anders aus. Liebe ist im Hebräischen nicht nur ein Gefühl, sondern auch eine Tätigkeit. Die altmodische Formulierung „jemandem zugetan sein“ trifft es vielleicht ganz gut. Es meint Zuwendung, aber auch, sich für den anderen einzusetzen.

Wer also etwas über den Ursprung des Gebots der Nächstenliebe herausfinden will, der muss im Buch Levitikus nachschlagen. Näher im 19. Kapitel. Ich gebe zu: Viele überlesen das Buch. Meine Studierenden an der Universität geraten auch meist ins Stocken bei ihrem Vorsatz, die Bibel einmal von vorne bis hinten zu lesen, wenn sie auf dieses dritte Buch der Bibel stoßen. Denn Levitikus bietet nicht schöne Geschichten wie am Anfang der Bibel, sondern ist über weite Strecken eine Ansammlung von Geboten. Aber gerade das finde ich beim Thema Nächstenliebe doch hochspannend.

Es geht dabei eben nicht um Gefühle und Erbauliches, sondern es geht um ganz konkrete Verhaltensweisen, um Gestaltung des Alltags. Da heißt es ganz direkt:

Du sollst deinen Bruder in deinem Herzen nicht hassen. Und auch: Du sollst deinen Nächsten nicht ausbeuten. Du sollst bei Gericht nicht Unrecht tun. Du sollst weder für einen Geringen noch für einen Großen Partei nehmen. Gerecht sollst du deine Mitbürger richten. Nächstenliebe in der Lesart der Bibel meint Aufmerksamkeit dem anderen gegenüber. Sie meint ein bestimmtes Verhalten. Nächstenliebe heißt: den Mitmenschen das zu geben, was man selbst auch von ihnen verlangt: gerecht behandelt zu werden, ohne Ansehen der Person. Es geht um Verantwortung, um Loyalität.

Das Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ übersetze ich daher lieber in einer jüdischen Auslegungstradition mit: „Liebe deinen Nächsten – er ist wie du“. Das macht das ganze Programm für mich zwar nicht unbedingt leichter, aber konkreter fassbar: Das Projekt „den nächsten lieben“ speist sich nicht zunächst aus einer Auffwallung des Gefühls, sondern aus der tiefgründenden Erkenntnis, dass ich mit meinem Nächsten mehr gemein habe, als ich zunächst denke.

„Wann endet die Nacht, und wann beginnt der Tag?“ wurde einst ein Rabbi gefragt. „Wenn man einen Hund von einem Hahn unterscheiden kann?“. „Nein“. „Wenn man eine Birke von einem Apfelbaum unterscheiden kann?“ „Nein?“. „Wann dann?“ Und der Rabbi antwortete „Wenn man in das Gesicht eines Menschen schaut und in ihm die Schwester oder den Bruder erkennt. Dann ist es Tag“.

In diesem Sinne: Einen guten Tag mit vielen neuen Gesichtern, die Ihnen begegnen, wünscht Ihnen Egbert Ballhorn aus Dortmund.

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