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Kirche in WDR 3 | 17.10.2018 | 07:50 Uhr
Himmelsleitung
Guten Morgen!
Es gibt Zeiten, da gelingt einfach alles. Lauter Erfreuliches, ein Entzücken, eine Begegnung, eine Umarmung, eine Liebeserklärung: man ist buchstäblich im Siebten Himmel.
Aber es gibt auch die anderen Momente: Enttäuschungen, Versagen, Scham ... - da fühlt man die ganze Last der eigenen Hinfälligkeit. Erdenschwer. Und manchmal liegt beides zeitlich nah beisammen. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.
Das Paradebeispiel ist für mich Jakob, einer der Patriarchen aus biblischer Zeit. Was hatte er, Mamas Liebling, doch für einen Coup gelandet, als er seinen älteren Bruder ausgestochen, ihn um sein Erbe gebracht hatte. Eine Schmierenkomödie, wie er damit auch seinen alten, schon hinfälligen Vater getäuscht und ihm den väterlichen Segen abgeluchst hatte, der eigentlich auch für seinen Bruder bestimmt war. Doch was nutzte ihm das, wenn er nun auf der Flucht war: aus Angst vor der Rache seines Bruders, aus Sorge vor dem Groll seines Vaters. Er hatte alles gewonnen und doch alles verloren. Fern von der Heimat, fern von der Familie, allein mit seiner Schuld und damit auch, so fühlte er: fern von Gott. – Da hatte er des Nachts einen merkwürdigen Traum. An seinem Kopf, so war ihm, stand eine Leiter, die bis in den Himmel ragte. Und noch wundersamer: Er sah darauf Engel auf und niedersteigen. Und mit einem Mal wurde ihm bewusst: "Hier ist nichts anderes als die Pforte zum Himmel - und ich wusste es nicht!"
Ich denke mir: Vielleicht brauchen wir Menschen an den Tiefpunkten unseres Lebens auch so einen Traum – oder besser noch jemanden, der uns dafür die Augen öffnet: wo immer ich bin, was immer ich mache, wie auch immer ich mich fühle – es ist der Ort, an den Gott seine Himmelsleiter direkt neben mir aufgestellt hat. Gott hält die Verbindung, auch wenn ich selbst sie nicht sehe oder sie abgebrochen habe und mich so sehr in mich selbst vergraben habe, dass ich nicht daran glauben kann, dass Gott mich da noch erreicht.
Übrigens berührt diese Vorstellung genau die letzte Vater-unser-Bitte, um die immer wieder gerungen wird: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ Kann Gott den Menschen denn in Versuchung führen? Ich verstehe das so:
Gott möge verhüten, dass wir ich in jene letzte Versuchung gerate, aus der es kein Entrinnen mehr gibt: jene letzte Versuchung, dass wir ich an der Allmacht Gottes und der Macht seiner vergebenden und aufrichtenden Liebe zweifele.
Selbst ein Paulus ist bis an diesen Punkt der äußersten Versuchung gekommen und hat die Erfahrung gemacht, gerade dort von Gott gefunden und wieder aufgerichtet worden zu sein, wo er es nicht mehr erwartet hat. Pauls schreibt:
„Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“ (Röm 7, 2f)
Schon die Kirchenväter wussten: „Wo der Ort der Schuld ist, da ist auch der Ort der Gnade“.
Jakob jedenfalls erfährt auf wundersame Weise, dass auch an dem menschlichen Tiefpunkt seines Lebens, auf der Flucht vor seinem Bruder und der Scham über sich selbst, der Himmel für ihn nicht verschlossen ist. Das erspart ihm zwar nicht ein Leben in der Fremde und leidvoll erfahrener Ungerechtigkeiten, ehe es schließlich doch zur Aussöhnung mit seinem Bruder kommt. Aber die Gewissheit, dass Gott bei ihm ist, hat ihn in all den Widrigkeiten nicht verlassen, sondern durchgetragen.
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Beides hat mit menschlichen Gefühlen zu tun. Aber entscheidend ist doch: Gottes Einladung steht immer. Ob ich unten liegenbleibe oder mich aufrichte. Sein Himmel jedenfalls neigt bis zu mir herab. Er ist mir auch in den tiefsten Niederungen nah und in den höchsten Höhen. Und ich ihm.
Ich bin Peter Klasvogt aus der Kommende Dortmund.
Kommen Sie gut durch den heutigen Tag!