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Kirche in WDR 3 | 16.11.2018 | 07:50 Uhr
„Letzte Gerechtigkeit“
Manchmal kriege ich ein mulmiges Gefühl. Wenn ich an die weltweite Ungerechtigkeit denke. Und was man dagegen tun kann – und dann doch nicht tut. Jesus erzählt dazu ein Gleichnis: Vor der Tür eines reichen Mannes lebt ein Bettler. Der bekommt nicht einmal das, was beim reichen Mann unter den Tisch fällt. Der eine prasst, der andere hungert. In der Ewigkeit leidet der reiche Mann schlimme Qualen, während Lazarus, der Bettler, ausruhen darf in Abrahams Schoß. Aus der Unterwelt bittet der reiche Mann, Lazarus möge kommen und ihm Kühlung verschaffen. Doch das ist nicht möglich. Dann bittet er darum, Lazarus möge doch wenigstens seine reichen Brüder warnen, damit sie ihr Leben ändern. Die Antwort Abrahams ist verblüffend: „Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören.“ Es hilft alles nichts: Wer sein Leben versaubeutelt hat, zahlt am Ende die Zeche. Da kriegt man wirklich ein mulmiges Gefühl. Zumindest, wenn man diesem Gleichnis folgt (vgl. Lk 16,19-31).
Die Botschaft ist nicht zu überhören. Ich beziehe sie gleich auf mich selbst. Dann sehe ich in Gedanken die vielen Dinge, die ich besitze. Und stelle ich insgeheim die Frage, auf welcher Seite ich wohl stehe: reicher Mann, armer Lazarus?
Um es gleich zu sagen: Die Geschichte enthält keine Infos über das ewige Leben. Immer wieder begegne ich Menschen – sehr ängstlichen Menschen –, die hier Aussagen vermuten über Heil oder Unheil, Himmel oder Hölle. Nein, das Gleichnis enthält keine Glaubenslehre und erst recht keine Angstmache. Aber es stellt meinen Einsatz für Gerechtigkeit auf den Prüfstand.
Keine Dogmatik also. Eher eine Beispielgeschichte voller Gegensätze: arm und reich, Luxus und Leiden, die Ungerechtigkeit auf Erden und der Trost im ewigen Leben. Gottes Liebe gilt den Armen, sie sind seine Bevorzugten. Mit den Reichen hat er einfach mehr Arbeit: Er muss sie erst arm machen, bis auch sie merken, dass sie ihn brauchen.
Jesus warnt vor dem Reichtum. Denn der Mensch ist mehr als die Summe der Dinge, die er sich kaufen kann. Der Sinn des Lebens besteht nicht im Besitzen, sondern im Verschenken. Wer sein Herz an seinen Besitz verliert, ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Er ist abhängig, besessen. Wer längst genug hat, will immer noch mehr. Leben, so wie ich es mag, aber bitte mit Sahne! Das kommt mir sehr bekannt vor, sehr aktuell. Auch heute wollen einige die Grenzen dichtmachen und alles für sich allein aufbrauchen. Auch heute soll Lazarus vor der Tür bleiben!
Der reiche Mann denkt noch im Jenseits an seine Verwandten. Typisch: an seine Verwandten! Warum nicht an die Fremden? Familienklüngel und Gruppenegoismus bis ins Jenseits. „Wenn ihr nur eure Brüder grüßt“, fragt Jesus in der Bergpredigt, „was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?“ (Mt 5,47)
Im Jenseits jedenfalls muss es eine letzte Gerechtigkeit geben. Ich brauche zwar keine Angst davor zu haben, denn für Gott ist nichts unmöglich. Aber bewusst leben, das muss ich schon. Am Ende werde ich zwar gerecht gemacht, wie Paulus sagt. Damit meint er: Ich werde begnadigt aus Liebe, ohne Berechnung meiner Lebensleistung. Erlösung heißt aber nicht, die Hände in den Schoß zu legen und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen.
Denn wenn mit dem Tod alles aus wäre, dann könnte ich ja einfach drauflosleben; dann könnte ich zum widerlichen Egoisten werden, ohne dass es irgendwen kratzt. Wenn es aber einen Gott gibt, dann ist mein Sterbenmüssen eine Herausforderung. Dann muss ich Gott gegenüberstehen und die Konfrontation aushalten – mit mir selber. Das ewige Leben vertröstet deshalb nicht aufs Jenseits. Nein, ganz im Gegenteil: Es macht mir klar, dass ich mein Leben ernstnehmen muss. Machen Sie doch mal ein kleines Experiment: Überlegen Sie, was bei Ihrer Beerdigung über Sie gesagt werden soll. Oder was mal auf Ihrem Grabstein stehen könnte. Was wird dann noch wichtig sein?
Mit diesen wirklich ernsten Fragen verabschiedet sich Pfarrer Stefan Jürgens aus Münster.