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Europa - gegossen in Verträge

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katholisch

Kirche in WDR 3 | 13.05.2019 | 07:50 Uhr

Europa - gegossen in Verträge

Europa wählt. Was das mit „Kirche im WDR“ zu tun hat? Möchte ich Ihnen gerne erzählen.

Vielleicht kennen Sie diese Führungen durch Schlösser und Burgen. Gut präsentiert können die ziemlich unterhaltsam sein. Als ich vor vielen Jahren im Europa-Parlament in Straßburg war, da hatte ich einen Fremdenführer – der hatte das verstanden. Der griff ganz tief in die Gitarre und begann den Rundgang mit nicht weniger als einem Zitat aus Richard Wagners „Rheingold“: „Was Du bist, bist Du aus Verträgen.“[1]

Es folgte: Ein Ritt durch die EU-Vertragsgeschichte. Vertrag von Amsterdam, Vertrag von Nizza, Vertrag von Lissabon. Ich gebe zu: Ich war dann doch recht schnell „raus“. Was aber hängen blieb, das waren Zweifel. Und die Frage: Ob diese Verträge tatsächlich das Entscheidende sind?

Jahre später dann, auf dem Höhepunkt der so genannten Flüchtlingskrise, bekam ich die Antwort. Einer meiner Kollegen hatte damals nämlich die Aufgabe, die Flüchtlinge im Land zu verteilen. Er signalisierte den Städten und Gemeinden ein paar Tage im Voraus, mit wie vielen Menschen sie zu rechnen hatten. Und er notierte sich die Telefonnummer seines Ansprechpartners. Für den Rückruf am Tag X.

An so einem Tag X wählt er also eine seiner Nummer und am anderen Ende meldet sich Frau Müller. Meine Kollege informiert: „Wir haben Ihnen ja gesagt, dass wir Flüchtlinge bei Ihnen unterbringen werden. Die Busse fahren gleich los. Etwa 100 Leute. Die sind dann in zwei Stunden bei Ihnen.“ Schweigen auf der anderen Seite. Dann die Reaktion: „Ja – aber wo soll ich die denn unterbringen?“ Der Kollege hatte einen harten Tag hinter sich. Er ist deshalb nicht auf Diskussion gestimmt. Kurz angebunden verweist er auf die Gesetzeslage und fügt noch hinzu: „Naja, Sie wissen das doch jetzt seit geraumer Zeit...“ Frau Müller fällt ihm hörbar aufgeregt ins Wort: „Ja, aber 100 Menschen. Wie soll das gehen …“ Mein Kollege bleibt höflich, ist aber etwas genervt: „Wir haben ihnen doch gesagt, dass das kommen wird. Ihre Aufgabe war es, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen …“ Frau Müller unterbricht ihn erneut und ihre Stimme zittert: „Also 35 oder 40 – das kann ich mir vorstellen. Aber 100…“ Mein Kollege wird ungeduldig: „Ich möchte jetzt mit Ihnen nicht über Zahlen diskutieren. Die Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf und ein Bett...“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann eine hörbar verunsicherte Frau Müller: „Ok – dann müssen wir mal schauen. Vielleicht hat die Erna nebenan ja auch noch Platz …“ Mein Kollege zuckt zusammen. „Wie – Erna von nebenan?“, fragt er nach. „Spreche ich nicht mit der Stadtverwaltung?“ – „Nein, nein“, erfährt er. „Hier ist die Frau Müller aus der Lessingstraße …“

Das ist der Stoff, aus dem die Fundamente unseres Landes und Europas gegossen sind: Nicht Verträge – sondern Menschen, die sich in die Pflicht nehmen lassen. Nicht Richtlinien – sondern Menschen, die eine Not sehen und anpacken. Für die Miteinander mehr ist als ein „Vertrag“. Die in Gedanken schon 35 bis 40 Flüchtlinge im Wohnzimmer, in der Küche, auf dem Speicher und im Keller untergebracht haben – und dann auch noch die Nachbarin um Hilfe bitten wollen. Ich weiß nicht, ob diese Frau Müller sich Gedanken über Europa gemacht hat. Ich weiß auch nicht, ob sie religiös war. Aber ich weiß, dass es nicht irgendwelche Verträge waren, die sie bewegt habe. Die sie im besten Sinne europäisch und christlich haben handeln lassen. Und ich bin überzeugt: Alles was Europa ist, ist es nicht aus Verträgen. Sondern wegen Menschen wie Frau Müller.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine Tag mit wenig Paragraphen und viel Menschlichkeit, Ihr Diakon Claudius Rosenthal aus Altenwenden.


[1]














Konkret geht es darum, dass die Riesen Fafner und Fasolt den Göttern eine Burg gebaut haben – und als Gegenleistung die Göttin Freia versprochen bekommen haben. Nachdem der Bau vollendet ist, merkt Wotan, welch aberwitzigen Vertrag er abgeschlossen hat – und möchte zurücktreten. Daraufhin meint Fasolt: „Lichtsohn du, leicht gefügter, hör' und hüte dich: Verträgen halte Treu'! Was du bist, bist du nur durch Verträge: bedungen ist, wohl bedacht deine Macht.“ (Rheingold, Kapitel 3, Zweite Szene)

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