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Kirche in WDR 3 | 29.05.2019 | 07:50 Uhr
Leinen los!
„Mayday, Mayday, Mayday!“ – Ich habe ihn kaum gehört, den Notruf aus dem Funkgerät. Denn es ist ziemlich laut auf unserem Segelschiff, als ich letztes Jahr mit Freunden Richtung Flensburger Förde segele. Der starke Wind zerrt an den Segeln, Wellen klatschen gegen den Rumpf, Wasser spritzt über´s Deck. Das Schiff liegt schräg, die Steuerfrau muss sich konzentrieren, um Kurs zu halten. Und dann plötzlich: „Mayday“. Wie elektrisiert springe ich auf und drehe den Funk lauter, damit alle mithören können. Nur bei höchster Gefahr darf dieser Ruf auf See verwendet werden. Entsprechend gebannt verfolgen wir den Funkverkehr: Die Besatzung einer Motoryacht meldet Feuer an Bord und muss in ihre Rettungsinsel steigen. Was den Vorfall für uns noch viel aufregender macht: Wir können die Rauchwolke des Feuers sehen! Quasi vor unseren Augen spielt sich das Drama ab. Trotzdem können wir nicht helfen; wir müssten gegen den Wind segeln und würden anderthalb Stunden brauchen bis zum Unglücksort. Über Funk bekommen wir aber mit, dass aus verschiedenen Richtungen Hilfe unterwegs ist und dass schließlich alle gerettet werden. Zu den Helfern gehörte auch ein Rettungsboot der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Diese Hilfsorganisation betreibt an den deutschen Küsten 60 Schiffe, um bei Seenotfällen zu helfen. Sie feiert heute übrigens Geburtstag und wird 154 Jahre alt.
Mich beruhigt es, dass es diese Gesellschaft gibt. Für mich als leidenschaftlichen Segler ist gut zu wissen: Wenn mir und meinen Freunden mal etwas passiert beim Segeln, dann holen die uns raus. Da kann ich mich drauf verlassen, im Fall der Fälle. Und auch im Alltag zuhause verlasse ich mich auf Helfer. Gut, dass es Feuerwehr, Notfalldienste, und Polizei gibt. Sie bewahren mich gegebenenfalls vor dem Schlimmsten. Und sie geben Sicherheit, denn ein Restrisiko im Leben bleibt immer. Und mit diesem Risiko muss ich leben.
Eine alte Seefahrerweisheit sagt schon: „Ein Schiff ist am sichersten im Hafen. Aber dafür werden Schiffe nicht gebaut.“ Wenn wir also im Urlaub ein Schiff chartern, dann wollen wir nicht eine Woche im Heimathafen liegen bleiben. Wir wollen raus aufs Meer, Land und Leute entdecken, uns der Natur aussetzen. Das lockt mich immer wieder, macht diese Art Urlaub so reizvoll. Ich gebe allerdings zu: Wenn morgens beim Ablegen das Kommando ertönt: „Leinen los!“, bin ich immer etwas aufgeregt. Weil ich nicht ganz genau weiß, was auf mich zukommt und wo wir den Tag beenden. Es bleibt ein Risiko und das einzugehen, lohnt sich. Grundsätzlich gilt doch: Nur wer ablegt, ins Ungewisse aufbricht, kann Neues und Unbekanntes entdecken. Und umgekehrt heißt das: Wer Neues und Unbekanntes erfahren will, muss Risiken eingehen.
Dazu braucht es Mut, mal mehr, mal weniger. Das fängt schon bei ganz einfachen Dingen an: wenn ich zu einer Party gehe, wo ich niemanden kenne; wenn ich eine neue Sportart ausprobiere; wenn ich umziehe in eine andere Stadt; wenn ich im Beruf eine neue Stelle antrete. Und noch mutiger finde ich es, einem Menschen zu sagen: „Ich will den Rest meines Lebens mit dir teilen“, „ich will dich heiraten“. Aber wenn ich das Risiko scheue, den Mut nicht aufbringe, dann komme ich nicht weiter, kann mich nicht entwickeln.
Als Christ glaube ich: Gott ermutigt Menschen immer wieder aufzubrechen, Risiken einzugehen. Mit der Aussicht: es lohnt sich. Abraham und Mose zum Beispiel verließen gemeinsam mit ihren Völkern ihre alte Heimat und fanden eine neue, bessere. Später fordert Jesus Menschen ebenfalls dazu auf, ihre Heimat zurückzulassen und mit ihm zu gehen, ihm nachzufolgen. Die einzige Sicherheit für all diese Mutigen: Gott geht mit. Versprochen. So wie Jesus es seinen Freunden und Freundinnen sagt: „Ich bin bei euch alle Tage.“
Daran denke ich, wenn ich mal wieder entscheiden muss: Neues wagen oder nicht. Dann mache ich mir klar: Ich gehe nicht allein.
Die Frage „aufbrechen oder bleiben?“ beantwortet übrigens der Schriftsteller Mark Twain so: „In zwanzig Jahren wirst du mehr enttäuscht sein über die Dinge, die du nicht getan hast, als über die Dinge, die du getan hast. Also löse die Knoten, laufe aus dem sicheren Hafen. ... Erforsche. Träume.“
Vielleicht haben Sie in den nächsten Tagen die Gelegenheit, etwas Neues zu tun oder zu planen. Dazu wünsche ich Ihnen Mut!
Ihr Pastoralreferent Martin Dautzenberg aus Essen.