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Kirche in WDR 3 | 27.07.2019 | 07:50 Uhr
Reliquien - begreifbarer Glaube?
Guten Morgen!
am heutigen Samstag beginnt in Paderborn das große Libori-Fest. Eine Woche lange feiern die Stadt und das Erzbistum Paderborn ihren Stadt- und Bistumspatron. Mit Kirche, Kirmes und Kultur ein einzigartiges Fest. Liborius war ursprünglich im 4. Jahrhundert Bischof von Le Mans im Westen Frankreichs. Im Jahr 836 kamen seine Gebeine von dort nach Westfalen. Ein mittelalterlicher Bericht beschreibt die Übertragung der Reliquien. Diese Reliquien werden heute Nachmittag mit einer feierlichen Liturgie in einem goldenen Schrein aus der Krypta des Paderborner Domes in den Hochchor gebracht und zur Verehrung ausgestellt. Ein religiöses Spektakel, dem unzählige Menschen folgen.
Reliquien – heilige Überreste. Überall auf der Welt können Sie welche finden in den Altären von Kirchen. Bedeutende Kirchen wurden für sie gebaut: zum Beispiel der Kölner Dom um den Schrein der heiligen drei Könige. Ich erinnere mich an meine Kindheit und unsere erste Reise als Familie nach Rom. Dort waren in den vielen römischen Kirchen die Reliquien in den Altären meist sichtbar. Ich hatte dieses faszinierende Schaudern eines Kindes beim Betrachten der heiligen Knochen. Im Mittelalter hatten die Reliquien Hochkonjunktur, wurden auch gehandelt. In einer Zeit als sich Glaube und Aberglaube vermischten, in der oft ungebildete Menschen in ihrer Art der Volksfrömmigkeit sich dem Heiligen näherten. Zu dieser Zeit versprach die Berührung der Reliquien, verbunden mit Gebet und Fasten, Heil. Es gab sogar für bestimmte Leiden ganz bestimmte Heilige. So wurde Liborius besonders bei Steinleiden angerufen, also Gallen- oder Nierensteinen, und ist seitdem mit Steinen auf einer Bibel dargestellt.
Gibt es für uns moderne Menschen überhaupt noch einen sinnvollen Zugang zu solcher Reliquien-Verehrung? Ich für mich habe einen Weg gefunden, den ich mit ihnen teilen möchte.
Reliquien sind für mich zum einen ein Zeugnis, dass christlicher Glaube konkret und geschichtlich ist. Jesus selbst und alle, die ihm nachgefolgt sind, haben ein Lebenszeugnis abgelegt für Gott. Die Geschichte hinter den Reliquien erzählt davon und erinnert daran, die eigene Geschichte mit Gott zu schreiben. Das Zeugnis der Vergangenheit ermutigt mich, selbst zu überlegen, wo ich als Christ in der Welt Zeugnis ablegen kann. Dieses Zeugnis beinhaltet immer das Wissen um die Vergänglichkeit, die in den Knochen sichtbar wird und das Vertrauen in einen Gott, der zum ewigen Leben ruft, das in der Verehrung deutlich wird.
Und zum anderen sehe ich in den Reliquien und deren Verehrung die Sehnsucht der Menschen, dass Glaube greifbar wird. So wie im Evangelium schon der Apostel Thomas die Sehnsucht hatte, Jesus an seinen Wundmalen zu berühren. Diese Sehnsucht haben wir Menschen von heute genauso, wenn auch anders als die Glaubenden des Mittelalters. Wir sind Menschen mit Leib, Geist und Seele. Die Sehnsucht innere Bewegung auch materiell, leibhaftig auszudrücken ist im Menschen. Die ganze Liturgie ist voll von diesen körperlichen Vollzügen spiritueller Wirklichkeiten. Und doch gilt die Antwort Jesu im Johannesevangelium an den Apostel Thomas: Weil du mich gesehen hast, glaubt du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
Wenn heute Nachmittag in Paderborn also die Reliquien des heiligen Liborius feierlich erhoben werden, ist das nicht nur kirchliche Folklore. In der gemeinsamen Feier steckt die Ermutigung zum christlichen Zeugnis in unserer Zeit.
Und das pulsierende Leben an Libori in Paderborn, das zeigt mir immer wieder, dass die Freude auf das, was uns einst einmal erwartet, sich hier und heute schon zeigen kann. Allen, die in Paderborn feiern wünsche ich eine gute Zeit! Und Ihnen ein gutes Wochenende, Ihr Dietmar Röttger, Propst in Soest.