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Choralandacht | 12.10.2019 | 07:50 Uhr
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Gott ist gegenwärtig (eg 165)
1) Gott ist gegenwärtig.
Lasset uns anbeten
und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitte.
Alles in uns schweige
und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt,
wer ihn nennt,
schlag die Augen nieder;
kommt ergebt euch wieder.
2) Gott ist gegenwärtig,
dem die Cherubinen
Tag und Nacht gebücket dienen.
Heilig, heilig, heilig!
Singen ihm zur Ehre
aller Engel hohe Chöre.
Herr, vernimm
unsre Stimm,
da auch wir Geringen
unsre Opfer bringen.
Sprecherin: „In dem Jahr, als der König Usia starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel […] Und einer rief zum anderen und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!“
Autor: Wir schreiben das Jahr 736 v. Chr. Dem Propheten Jesaja gehen die Augen auf. In einer Vision öffnet sich ihm der Blick in den himmlischen Thronsaal Gottes. Offensichtlich schlägt ihm jetzt wohl seine letzte Stunde, so glaubt er wenigstens: „Weh mir, ich vergehe! […;] denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen“.
Gott, der Heilige und Allmächtige! Seine Ehre und Herrlichkeit sind selbst für den Himmel zu groß. Er kann sie nicht fassen. Mit ungeheuerlicher Wucht prägt dieses Bild die Glaubensvorstellung von Juden, Christen und Muslimen bis heute. Es ruft gegensätzliche Reaktionen hervor. Die einen sagen: Nein, mit religiösen Allmachtsgedanken will ich nichts zu tun haben. Die anderen sagen: Erst wenn ich ganz von mir selber absehe, werde ich Frieden finden – in Gott.
Musik 2= Musik 1: Track 11 „Gott ist gegenwärtig“ Strophe 3
3) Wir entsagen willig
allen Eitelkeiten,
aller Erdenlust und Freuden;
da liegt unser Wille,
Seele, Leib und Leben
dir zum Eigentum ergeben.
Du allein
sollst es sein,
unser Gott und Herre,
dir gebührt die Ehre.
Autor: Wir sind jetzt im Jahre 1729 n. Chr. 2000 Jahre nach der Vision des Propheten Jesaja schreibt der Liederdichter Gerhard Tersteegen ein geistliches Lied. Darin erweist er der Berufungsvision des Jesaja seine Reverenz. Bis heute steht es als Eingangslied für den Gottesdienst im Evangelischen Gesangbuch und wird gern von der Gemeinde gesungen.
Musik 3= Musik 1: Track 11 „Gott ist gegenwärtig“ Strophe 6
6) Du durchringest alles;
laß dein schönstes Lichte,
Herr berühren mein Gesichte.
Wie die zarten Blumen
willig sich entfalten
und der Sonne stille halten,
laß mich so
still und froh
deine Strahlen fassen
und dich wirken lassen.
Autor: „Ich in dir, du in mir“ – Tief in der
mittelalterlichen Mystik verankert ist diese Erfahrung. Hier schlägt das Herz
Gerhard Tersteegens. Die unmittelbare Gottesnähe ist das Ziel der frommen
Seele.
Sprecherin: „Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten, lass mich […] deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.“
Autor: Gott wirkt unmittelbar an der Seele eines Menschen. Das schafft Freiheit, ein freies Gewissen in Gott, frei aber auch gegenüber jedem menschlichen Anspruch, auch dem Machtanspruch der Kirche. In einer Sammlung christlicher Lebensbilder würdigt Tersteegen katholische Christen als wahrhaft evangelische Vorbilder. In einer erbetenen Veröffentlichung setzt er sich kritisch mit den freigeistigen Ansichten König Friedrichs des Großen auseinander. Den Gottesdienst in der Petrikirche meidet er. Stattdessen tritt er als freier Erweckungsprediger auf und macht damit den Pfarrern offen Konkurrenz.
Musik 4= Musik 1: Track 11 „Gott ist gegenwärtig“ Strophe 7
7) Mache mich einfältig,
innig, abgeschieden,
sanft und still in deinem Frieden;
mach mich reines Herzens,
daß ich deine Klarheit
schauen mag in Geist und Wahrheit;
laß mein Herz
überwärts
wie ein‘ Adler schweben
und in dir nur leben.
Autor: Die Mystik Gerhard Tersteegens ist immer an die Schrift gebunden und von der Schrift geleitet. Sein Bibelverständnis hat er ausführlich und eindrücklich begründet.
Und dennoch: Ich empfinde eine bleibende Fremdheit: Mit seinem eigenen Blut hat er sich in einem bis heute erhaltenen „Blutbrief“ Jesus verschrieben.
Die normale Kirchengemeinde mit ihren Unzulänglichkeiten, das vorläufige und zerbrechliche Glück des Durchschnittsmenschen, die sinnlichen Freuden an der Schöpfung,– sie alle genügen seinen Ansprüchen nicht und müssen sich mit einem Platz bestenfalls in der zweiten Reihe begnügen.
Immerhin: der ursprüngliche Titel des Liedes heißt: „Erinnerung der herrlichen und lieblichen Gegenwart Gottes.“ Da finde ich mich wieder und sage: Lieber Gerhard Tersteegen, danke für diese Erinnerung!
Musik 5= Musik 1: Track 11 „Gott ist gegenwärtig“ Strophe 1
1) Gott ist gegenwärtig.
Lasset uns anbeten
und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitte.
Alles in uns schweige
und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt,
wer ihn nennt,
schlag die Augen nieder;
kommt ergebt euch wieder.
Literatur:
Kellermann, Ulrich, Gerhard
Tersteegen. Der Mülheimer Mystiker und die Macht der Liebe Gottes. Ein
Tersteegen-Lesebuch zum 250. Todesjahr. Dem Andenken des Mülheimer
Tersteegenforschers Heinz Hohensee *16.8.1941 + 13.3.2017, herausgegeben vom
Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr 2019.
Redaktion:
Pfarrer i.R. Dr. Gerd Höft