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Kirche in WDR 3 | 09.11.2020 | 07:50 Uhr

Was für ein Tag

Guten Morgen!

Es war ein Tag, der vielleicht so gewöhnlich, so unspektakulär begann wie jeder andere. Die Menschen gingen zur Arbeit, redeten miteinander über ihre Kinder, beteten in ihren Gotteshäusern. Doch in der Nacht brannten überall im Land die Synagogen, drang ein sogenannter Volkssturm in Tausende jüdischer Geschäfte und Wohnungen ein. Innerhalb weniger Stunden wurden weit über tausend Mitbürger jüdischen Glaubens getötet, mehr als 30.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt. Der Propagandaminister schrieb unter diesem Datum in sein Tagebuch, er wünsche sich, dass man den „Volkszorn“ jetzt richtig loslassen könne. Was für ein Tag, dieser 9. November 1938, der so friedlich begann und in den Verwüstungen der Reichspogromnacht endete. Was für ein Grauen, der Beginn der Shoa, der systematischen Vernichtung von 6 Millionen Juden.

Beim Gedenken an die brennenden Synagogen von damals steht mir ein Bild Marc Chagalls vor Augen, das im Art Institute in Chicago hängt: die weiße Kreuzigung, ein erschütterndes Zeitdokument, 1938 unmittelbar unter dem Eindruck eben dieser Progromnacht gemalt. Es zeigt am oberen rechten Bildrand die Flammen, die aus einem Gebäude schlagen. In der Bildmitte übergroß der gekreuzigte Jesus, als Jude dargestellt mit dem jüdischen Gebetsschal um die Hüften; anstelle der Dornenkrone trägt er ein Tuch auf dem Kopf. Um ihn herum versinkt die Welt in Chaos und Leid. Statt seiner Mutter, die ihm beisteht, sieht man Szenen des Judenpogroms. Inmitten der großen Katastrophe breitet er sterbend die Arme aus, als wolle er alles Leid und alle Not der Menschen umschließen. „Dieser Jesus war einer unserer liebevollsten Rabbiner, der stets für die Bedrängten eintrat“, so Chagall über seine ungewöhnliche Bildkomposition.

Und so malt er den Gekreuzigten mitten hinein in die Bilder von Flucht und Vertreibung, von Bedrängnis und Furcht. In Gedanken sehe ich ihn, den gekreuzigten Jesus, inmitten der Menschen, die auch heute wieder auf der Flucht sind. Die Opfer von Krieg und Gewalt, von schreiender Ungerechtigkeit und unwürdigen Zuständen. Gerade dort hat unser Gott auch heute sein Lager aufgeschlagen, lässt er sich finden und berühren. „Wenn ich von der Erde erhöht bin“, sagt Jesus zu seinen Jüngern, „werde ich alle an mich ziehen“ (Joh 12,32). Und er tut es bis heute.

Was damals geschehen ist, in der Reichsprogromnacht, heute vor 82 Jahren, lässt sich nicht leugnen und nicht verdrängen. Auch wenn all das lange zurückliegt, es bleibt eine Wunde, die aus der Geschichte unseres Volkes nicht ausradiert werden kann. Denn weder die Zeit noch das Vergessen heilt die Wunden. Aber im Wissen um unsere Wunden erwächst vielleicht die Kraft, bewusster aufeinander zuzugehen, das Gespräch miteinander zu suchen, im Hören und im Schweigen – und vielleicht auch im Verzeihen. Wo immer das geschieht, ist es ein Wunder, da klingt etwas auf von Erlösung, die ein Kirchenlied so ermutigend besingt: „Seht aus der Nacht Verheißung blüht, die Hoffnung hebt sich wie ein Lied“[1]die Liedzeile endet gar mit einem Jubelruf, einem jüdischen Wort, das auch den Christen heilig ist. Und vielleicht können wir es sogar gemeinsam singen, Juden und Christen, selbst an diesem Tag, in der Gewissheit, dass Gott Erlösung schenkt: Halleluja.













































































Ich bin Peter Klasvogt aus der Kommende Dortmund. Kommen Sie gut durch den heutigen Tag!

[1] Text: Maria Luise Thurmair 1941] 1946, zitiert nach Gotteslob, Stuttgart 2013, Nr. 347.

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