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Kirche in WDR 3 | 28.10.2020 | 07:50 Uhr
Chancen für den Glauben
Guten Morgen!
Mein verstorbener Mann war Maler und Bildhauer. Eines seiner großformatigen Gemälde zeigt ein aufgeschlagenes Buch. Es scheint durch die Luft zu schweben. Am unteren Bildrand sind viele schwarze Buchstaben zu sehen. Wie durcheinander gewirbelt.
Die aufgeschlagenen Seiten des Buches sind leer. Zwei reine, weiße Blätter. Sind die Buchstaben herausgefallen oder warten sie darauf hineinzufliegen? „Hat dein Bild einen Namen?“, fragte ich ihn damals. „Ja“, antwortete er, „es heißt Chance“.
Henri Nouwen erfährt in der Begegnung mit einem Menschen solch
eine Art Chance. Eine Chance für neue Perspektiven in seinem Glauben an Gott. Der niederländische Theologe und Hochschullehrer verbringt sieben Monate in einem Trappistenkloster in Amerika. Tagebuchartig hält er dort seine inneren und äußeren Erfahrungen fest, veröffentlicht sie später in dem Bestseller „Ich hörte auf die Stille“.
An einem Tag besucht Henri Nouwen zusammen mit einem Bekannten den Trappisten Elias. Dieser Mitbruder lebt als Eremit in einer Einsiedelei
in der Nähe des Klosters. Jedesmal, wenn Elias das Wort „Gott“ im Munde führte, hüpfte sein ganzer Körper vor Freude, und er strahlte von himmlischer Zufriedenheit, schreibt Henri Nouwen später in seinem Tagebuch. Elias erzählt von seinen Eltern im Libanon, von Tagesthemen, steht mit beiden Beinen auf der Erde. Aber letztlich ist alles, was er beobachtet und reflektiert, für ihn Variation eines einzigen Themas: wie gut Gott ist.
So ruft Elias zum Beispiel
aus: Ist der Regen nicht herrlich? Warum
leisten wir dem Regen ständig Widerstand? Warum wollen wir immer nur Sonne, wo
wir doch bereit sein sollten, uns vom Regen durchnässen zu lassen? Gott will
uns mit seiner Liebe … durchtränken. Ist es nicht wunderbar, dass wir Gott auf
so vielfältige Weise erfahren können und ihn so immer besser erkennen! Er lässt
uns seine Gegenwart erfahren in allem, was uns umgibt – selbst in diesem
Augenblick.
Henri Nouwen ist von diesem vitalen Menschen fasziniert. Der Besuch bei Elias erfüllt ihn mit Dankbarkeit. Und Henri Nouwen ergreift die Chance, selbst das Leben mit neuen Augen zu sehen. Er übt sich
darin, aufmerksam zu werden auf das Durchscheinen Gottes in der Natur, im Alltag, in der Begegnung mit anderen Menschen, gerade
auch in Ohnmacht und Dunkelheit. Letztlich einfach: Gottes Gutsein
auf die Spur zu kommen. Allen Widerständen und Gegenstimmen
zum Trotz.
Guter Gott, jeder neue Tag ist wie ein Buch mit leeren Seiten.
Jeder Tag hält Chancen bereit, Dich neu zu erfahren in allem,
was ist
– selbst in diesem Augenblick.
Aus Coesfeld grüßt Sie Petra Fietzek.