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Kirche in WDR 3 | 15.05.2021 | 07:50 Uhr
Einen einschenken
Schon ein etliche Jahre her. Wir sind für ein paar Tage an der Mosel. Ein bisschen das übliche Touri-Programm abspulen. Vor allem aber wegen des Weines. Von der letzten Weinprobe habe ich mir nämlich behalten, dass mir eine Riesling-Spätlese besonders gut geschmeckt hatte. Nun will es der Zufall, dass ganz in der Nähe irgendeine Erzeuger-Messe stattfindet. Wir sagen uns: „So ein Messebesuch – das wäre für uns eine Premiere.“ Also fahren wir hin und lassen uns begeistern von Bäckern, die ihre besten Brote präsentieren. Von Metzgern, die ihre saftigsten Würste zur Schau stellen. Und von Winzern, die hier ihre Weine an die Frau und an den Mann bringen wollen. Wir lassen uns treiben, schauen und staunen und stehen irgendwann vor einem gemütlich aussehenden Winzerstand. Einige Stehtische sind dort aufgebaut und wir denken uns: Jetzt so ein gutes Schlückchen – das wäre doch nicht schlecht. Also „rin in die gute Stube“.
Wir haben es uns noch nicht richtig bequem gemacht, da erscheint auch schon ein junger sympathischer Mann, stellt zwei Weingläser auf den Tisch, holt einen Korkenzieher aus der Hosentasche und beginnt damit, die ebenfalls schon mitgebrachte Weinflasche zu öffnen. Er plaudert munter drauf los – wo wir herkommen, was wir beruflich machen, warum wir hier sind und an welchem Wein wir denn besonderes Interesse haben. Wir freuen uns über so viel Offenheit und antworten entsprechend: Dass wir einen Kurzurlaub an der Mosel machen, dass wir noch nie auf einer Messe waren und dass wir … naja: zu mehr kommen wir nicht. Denn der junge Mann steckt den Korkenzieher wieder ein, nimmt die beiden Gläser und verschwindet wortlos an den nächsten Tisch, wo er ebenso freundlich wie zuvor bei uns zu plappern und zu plaudern beginnt. Wir sind irritiert. Schauen uns an. Warten noch eine Weile, ob vielleicht jemand anders an unseren Tisch kommt, um eine Bestellung für ein Glas Wein entgegenzunehmen, und beschließen dann irgendwann, die Lokalität zu verlassen. Am Nachbartisch hat der junge Mann zwischenzeitlich einen Notizblock hervorgeholt und wir sehen beim Gehen noch, wie er fleißig Bestellungen notiert.
Erst einige Tage später wird uns dann klar, was hier eigentlich passiert ist. Der junge Winzer wollte uns Wein verkaufen – allerdings nicht in der Größenordnung von 0,1 Litern, die uns in dem Moment so vorschwebte. Ganz hart ausgedrückt: Für ihn mussten wir wie Schnorrer wirken – und dafür hatte er weder Lust noch Zeit. Er hatte sich das ganze Jahr über abgemüht, einen hervorragenden Wein anzubauen, hatte mit viel Liebe zum Detail seinen Stand hergerichtet – und dann kommen da zwei Schnösel und wollen einfach nur ein Päuschen machen. Zwei Menschen, die erkennbar überhaupt keinen Sinn für das haben, was er hier anbietet.
Mit meiner Arbeit in der Kirche geht es mir manchmal ähnlich. Da habe ich auch den Eindruck, ich habe es nur mit dieser Laufkundschaft zu tun, die sich sagt: „Ach, schenk mal ruhig ein. Wir kommen da zwar nicht wirklich ins Geschäft, aber so ein Schlückchen oder zwei, die nehm‘ ich schon mit…“ In solchen Momenten würde ich dann manchmal auch gerne wie der Winzer damals einfach wortlos die Weingläser nehmen und weiterziehen zu denen, die wissen, was ich mache und warum ich da bin. Und dann muss ich mich daran erinnern lassen, dass Jesus genau das nicht getan hat. Klar, gibt es auch Stellen in der Bibel, wo er seinen Freunden sagt: Dreht euch um, schüttelt den Staub aus Euren Kleidern und geht. Aber die Regel ist das nicht. Die Regel bei ihm lautet: „Komm, setzt Dich zu mir. Nimm – iss, trink. Ich schenke Dir ein! Und wenn Dir das, was ich Dir gebe, nicht zusagt, dann kannst Du auch wieder gehen. Denn ich möchte keine Geschäfte mit Dir machen. Ich arbeite nicht mit der Logik „gibst Du mir, geb ich Dir“. Sondern ich gebe Dir von meiner Liebe – ohne jede Bedingung. So viel, wie Du möchtest!“
In diesem Sinne verabschiede ich mich heute einmal nicht mit guten Wünschen für Sie – sondern eher nachdenklich und selbstkritisch und frage mich: Ob ich nicht vielleicht doch noch zu häufig die Weingläser abräume und gehe, statt einzuschenken, im Gespräch zu bleiben, selbst wenn da nicht das dicke Geschäft wartet. Ihr Diakon Claudius Rosenthal aus Altenwenden