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Choralandacht | 06.11.2021 | 07:50 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Wir warten dein, o Gottes Sohn (eg. 152)

Autor: Es ist November. Nicht gerade mein Lieblingsmonat. Die Blätter fallen, die Bäume werden kahl, es wird immer früher dunkel, das Wetter ist oft nass und grau. Anderen bedeuten diese Tage im November viel. Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Ewigkeitssonntag. Zeit, sich zu besinnen. Die Natur zeigt es mit jedem Blatt, das da von den Bäumen fällt: Unser Leben ist begrenzt. Wer in den letzten Monaten jemanden verloren hat, möchte jetzt vielleicht besonders gesehen werden. Dass jemand da ist, zuhört, tröstet. Der November gilt als Trauermonat. Eine Freundin, Karla, hat ihren Partner verloren, ganz plötzlich, mitten im Leben. Ein Sekundentod mit 46 Jahren. Kaum auszuhalten. Ihr hilft, dass ihre beste Freundin Sonja da ist, sie besucht, manchmal ein paar Tage bleibt. Dann gehen die beiden lange am Rhein spazieren, schauen den Schiffen nach, reden oder schweigen, je nach dem. Ein andermal kocht Sonja einen kräftigen Eintopf. Oder sie legt Karla eine Wolldecke über, wenn sie erschöpft einschläft auf dem Sofa mitten am Tag. In 14 Tagen, am Ewigkeitssonntag, wird sie mitgehen in die Kirche, wenn sein Name nochmal genannt wird, Thomas. Wenn vorn eine Kerze angezündet wird für ihn. Für Karla ist es ein Trost, wenn Menschen jetzt an sie denken, auch öffentlich, im Gottesdienst. Wenn sie für sich ist, kommt sie oft ins Nachdenken. Was brauche ich? Was darf ich vom Leben jetzt erwarten? Wird das überhaupt mal wieder gut?


Musik: Choral, Strophe 1

Titel: Wir warten dein, o Gottes Sohn; Melodie: Severus Gastorius, 1679; Satz: Johann Sebastian Bach; Chor: Solistenensemble; Leitung: Gerhard Schnitter; Album: Mir ist Erbarmung widerfahren – Philipp Friedrich Hiller; Verlag: Hänssler Verlag; Label: hänssler; LC: 07224


Sprecherin (overvoice):

1. Wir warten dein, o Gottes Sohn,

und lieben dein Erscheinen.

Wir wissen dich auf deinem Thron

und nennen uns die Deinen.

Wer an dich glaubt,

erhebt sein Haupt

und siehet dir entgegen;

du kommst uns ja zum Segen.


Autor: Philipp Friedrich Hiller dichtet dieses Lied 1769. „Wir warten dein, o Gottes Sohn“ ist das Wochenlied für den morgigen Sonntag, wahrscheinlich wird es in vielen Kirchen gesungen. Ein Lied für den November. Ein Lied für diese Frage: Was dürfen wir hoffen angesichts von Leid und Tod? „Wir warten dein, o Gottes Sohn… du kommst uns ja zum Segen“. Darauf hofft Philipp Friedrich Hiller – so fromm und gläubig, wie er groß geworden ist.

Wie wird sich das für Karla anhören? Warten, Vertrauen haben, aufschauen. Hoffen, dass Gott sich zuwendet, das etwas gut wird. Kann sie das? Sie wartet schon darauf, dass die andern auf der Straße nicht mehr wegsehen oder ausweichen, weil sie nicht wissen, was sie sagen oder wie sie ihr jetzt begegnen sollen. Das wär schon mal ein Anfang. Anderen offen entgegensehen, von anderen gesehen werden? Schön wäre es. Manchmal betet sie: Gott, schau mich an! Du weißt doch, wie es um mich steht.

Philipp Friedrich Hiller wartet seit Jahren darauf, wieder richtig sprechen zu können. 1751 erkrankt er an einem Halsleiden. Er ist ein Pfarrer, der schon lange nicht mehr öffentlich reden kann. Seine Stimme ist nur noch ein heiseres Flüstern. Elf Kinder hat Hiller mit seiner Frau Maria Regina. Die Familie ist immer wieder in wirtschaftlicher Not. Philipp Friedrich Hiller konzentriert sich aufs Schreiben. Das kann ihm keiner nehmen. Im Laufe der Jahre entstehen so unzählige Lieder und Gedichte. Vier davon finden sich bis heute im Evangelischen Gesangbuch. Was ihn trägt? Was ihn hoffen lässt? Er hält trotz aller Fragen an Gott fest. Und er hat Freunde, auf die er sich verlassen kann. Zum Beispiel seinen Lehrer Johann Albrecht Bengel. Als er seine Stimme verliert, schreibt er ihm:


Sprecher: Ich bin eine Zeit her in so schweren Anfechtungen, dass sie mir bisweilen übermenschlich zu sein scheinen. Ich bete, ich weine, ich schütte mein Herz aus, flehe um Wiedererlangung meiner Stimme.


Musik: Choral, Strophe 2


Sprecherin (overvoice)

2. Wir warten deiner mit Geduld

in unsern Leidenstagen;

wir trösten uns, dass du die Schuld

am Kreuz hast abgetragen;

so können wir

nun gern mit dir

uns auch zum Kreuz bequemen,

bis du es weg wirst nehmen.


Autor: Alle vier Strophen des Chorals beginnen so: „Wir warten.“ Und Sie? Worauf warten Sie in diesen Novembertagen? Eltern warten oft darauf, dass die Kinder sich mal wieder melden. Ein Freund von mir wartet darauf, dass er einen bestimmten Auftrag bekommt. Ein Kollege wartet, dass ein komplizierter Knochenbruch endlich verheilt und keine Schmerzen mehr macht. Ein Paar aus unserem Bekanntenkreis hat sich in einem Konflikt verrannt, beide warten auf eine Entschuldigung des jeweils anderen.

Wie geht das eigentlich: warten? Wer wartet, kann nicht viel tun, oder? Warten klingt nach loslassen, abgeben, Dinge geschehen lassen. Nichts machen können, sondern warten, ist gar nicht so einfach. Andererseits: Wer wartet, kann zumindest sagen, was er oder sie erwartet: von den Kindern, von der Kollegin, vom Freund, von der Partnerin. Dann wird das Warten schon etwas aktiver.

Von einem, der auf eine unfassbare Weise auf seine Geliebte wartet, habe ich neulich in einem Popsong gehört. Haben sie sich getrennt? Hat sie ihn verlassen? Jedenfalls vermisst er sie. Also geht er zurück an die Straßenecke, wo sie sich das erste Mal begegnet sind. Campt dort in seinem Schlafsack und beschließt: Ich werde mich nicht wegbewegen. Er hat ein Bild von ihr und schreibt dazu auf eine Pappe: „Wenn du sie siehst, sag ihr bitte, wo ich bin!“

Seine Hoffnung: Wenn sie eines Tages aufwacht und ihn doch vermisst, dann kommt sie vielleicht zurück an den Platz, wo sie sich das erste Mal begegnet sind. Vielleicht kommt er sogar in die Nachrichten mit seiner Aktion. Dann wird sie ihn sehen. Dann wird sie zu ihm kommen.


Musik: Choral, Strophe 3


Sprecherin (overvoice)

3. Wir warten dein; du hast uns ja

das Herz schon hingenommen.

Du bist uns zwar im Geiste nah,

doch sollst du sichtbar kommen;

da willst uns du

bei dir auch Ruh,

bei dir auch Freude geben,

bei dir ein herrlich Leben.


Autor: Philipp Friedrich Hiller ist der vielleicht bedeutendste Dichter des schwäbischen Pietismus. So stelle ich mir seine Frömmigkeit vor, seinen unerschütterlichen Glauben. Wie eine Liebesbeziehung. Kann sein, das Leben mutet ihm viel zu. Krankheit, Not, Fragen, Zweifel. Das Lied, das er dichtet, ist wie ein Pappschild, das er dem Himmel entgegenstreckt: Wir warten dein, o Gottes Sohn! Er glaubt fest: Ich werde gesehen. Jesus Christus kennt mein Leid. Und er wird es wenden. Und Philipp Friedrich Hiller spürt, dass er schon jetzt andere Menschen an seiner Seite hat: Seine Frau, seine Kinder, seinen besten Freund.

Vielleicht fühlt auch Karla sich in diesen Novembertagen getragen von Gott. Sie hat ihren Partner verloren. Sie trauert, sie hat Fragen. Manchmal betet sie: „Gott, schau mich an! Du weißt doch, wie es um mich steht.“ Ihre Freundin Sonja ist schon da. Sie hört zu, sie kocht einen Eintopf, sie hüllt sie in eine warme Decke. Und sie kommt mit, wenn Karla in die Kirche geht, um an Thomas zu denken, ihren Mann. Kann sein, es braucht noch Zeit, bis sie das findet, wovon der Choral singt: Ruhe, Freude, Leben. Aber sie wartet.


Musik: Choral, instrumental



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