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Kirche in WDR 3 | 19.04.2022 | 08:55 Uhr

Wohin mit meiner Klage

Guten Morgen.

Ich höre Nachrichten und weiß oft nicht: Wohin mit all dem Leid?

Die zerbombten Städte in der Ukraine, die vielen Mütter, Kinder auf der Flucht.

Wohin mit meiner Ohnmacht, meiner Wut, meinem Entsetzen?


Ein Ventil für die Seele. Das bräuchte ich. Jemanden, dem ich all das klagen kann.

Klagen ist für mich dabei etwas anderes als Jammern.

Beim Jammern drehe ich mich nur wehleidig um mich selbst.

Klagen dagegen hat ein Gegenüber.

Ich klage einem guten Freund, was mich belastet.

Und indem ich das tue, verändert sich was in mir.

Doch wohin, wenn das Leid viel zu groß wird?


Ich selbst habe viel über das Klagen aus dem Buch Hiob in der Bibel gelernt.

Es handelt von einem Menschen, der auch nicht weiß: Wohin mit all dem Leid?

Hiob verliert in kurzer Zeit alles: erst seinen Besitz, dann seine Kinder, schließlich die Gesundheit. Und Gott lässt das zu.

Hiob erträgt auch alle diese Schicksalsschläge zuerst mit tiefer Frömmigkeit und Geduld:


Dann kommen Hiobs Freunde zu ihm. Sie haben von seinem Unglück gehört und wollen ihn trösten.

Doch sie erkennen ihn zuerst überhaupt nicht. Weil Hiob so von seiner Krankheit entstellt ist.

Sieben Tage und sieben Nächte sitzen seine Freunde dann mit ihm in Staub und Asche.

Sie schweigen und sagen kein einziges Wort. Weil sie sehen, dass sein Schmerz groß ist.

Hiob selbst bricht dann das Schweigen. Und er beginnt, zu klagen.

Es bricht richtig aus ihm heraus. Er verflucht den Tag seiner Geburt. Will die ganze Schöpfung umkehren. Fordert Gott selbst zum Rechtsstreit auf.

„Warum muss ich so leiden, Gott? Ich habe doch nichts verbrochen!“

Seine Freunde versuchen ihn zu beruhigen, ihn zurecht zu weisen.

Doch Hiob hört nicht auf sie.

Er klagt. Mit aller Kraft, die noch in ihm ist.
„Du, Gott, hast meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum.“


Am Ende bricht das Gespräch mit seinen Freunden ab.

Und Gott selbst stellt sich Hiobs Klage.

Gott gibt Hiob keine einfache Antwort. Hiob erfährt nicht, warum er so leiden muss.

Stattdessen stellt Gott Hiob Fragen. Fragen, auf die Hiob nichts zu antworten weiß.

Doch dann, am Ende gibt Gott Hiob recht. „Du allein, Hiob, hast richtig von mir geredet.

In deinen Klagen und Vorwürfen hast du recht von mir geredet.“

Weil Gott selbst an dem Leiden leidet. Weil es keine einfache Antwort gibt.


Klagen können. Gott gibt mir den Raum, damit ich klagen kann.

Er ist mein Gegenüber in Augenblicken tiefster Einsamkeit. Mein Wohin für all das Leid.

Nein, ich habe keine einfache Antwort darauf, warum es Krieg gibt.

Warum Menschen einander töten.

Doch ich weiß, dass Krieg und Leid gegen Gottes Willen sind.

Dass Gott selbst in seinem Sohn Jesus Christus darunter leidet. Und dass Gott einmal alles Leid beenden wird. Das hat er versprochen.

Deswegen klage ich Gott alles Leid. Und bitte ihn um Kraft: es zu ertragen, wo nötig und etwas dagegen zu tun, wo ich es kann.


Ihr Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.



Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze



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