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Kirche in WDR 3 | 11.11.2022 | 07:50 Uhr
Gott vergib! Ich kann es (noch) nicht
Vergeben zu können ist wichtig für ein erfülltes Leben. Vergeben heißt aber nicht in jedem Fall versöhnen. Ein Opfer mag vielleicht nach Jahrzehnten dem Täter vergeben können. Aber ein Opfer wird sich nur selten mit seinem Täter versöhnen können, ohne wieder in die alte, zerstörerische Täter-Opfer-Dynamik hineinzugeraten. Vergeben jedoch kann mit einer klaren Distanz zum Täter einhergehen.
Jesus antwortete auf die Frage des Petrus: „Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal?“ Jesus darauf: „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.“ (Mt 18,21-22) Das bedeutet wohl: immer! Als Forderung ist dies unmöglich zu erfüllen. Jesus selbst kam, als er Opfer massiver Gewalt wurde, an seine menschlichen Grenzen. Mitten im grausamen Leiden am Kreuz scheint es, als habe Jesus – darin uns Menschen zutiefst verbunden – nicht vergeben können. Was tut er? Er ruft: „Vater, vergib ihnen!“ (Lk 23,34)
Dies kann auch ich versuchen: Wenn mir selbst die Kraft zu vergeben fehlt, darf ich mit meiner Unfähigkeit Frieden schließen. Ich könnte dann Gott bitten: „Vergib Du Ihm! Vergib Du ihr! … Vielleicht kann ich eines Tages nachkommen … vielleicht …“
Ich muss nicht vergeben können. Ich kann nicht immer und erst recht nicht sofort vergeben. Vergeben kann nicht erzwungen werden – weder durch mich selbst noch durch andere. Ich darf, ja ich muss notwendigerweise ehrlich und klar bei mir und meinen Gefühlen bleiben, wenn ich in die Vergebung hineinfinden will.
Gott, manchmal
will ich mich dazu zwingen zu vergeben, doch ich stelle fest: So geht es erst
recht nicht. Hilf mir, Frieden zu schließen mit meinem Ringen, mit meinen
Grenzen.
Wenn ich mein Unvermögen
liebevoll anerkenne, öffnen sich womöglich Türen, die mir für immer
verschlossen schienen.
Aus Aachen grüßt Sie Spiritual Georg Lauscher